– Ungefähr 6,5 % der COVID-19-Genesenen entwickeln anhaltenden „Brain Fog“, gekennzeichnet durch Konzentrationsstörungen, Wortfindungsprobleme und starke Erschöpfung; andauernde Beschwerden sollten ärztlich abgeklärt werden.
– Ergotherapeut:innen setzen vor allem auf Energiemanagement und die Pacing-Methode, um individuelle Belastungsgrenzen zu erkennen und mithilfe von Kompensationsstrategien (z. B. Kalender-Apps, Tagebuch, Arbeitsplatzbrille) kognitive Funktionen und Alltagsaktivitäten schrittweise zu verbessern.
– Essenzielle Heilungsfaktoren sind die Akzeptanz der eigenen Situation, die Aktivierung innerer Ressourcen und die Anpassung von Umwelt und Arbeitsumfeld (Reizminderung, Pausen mit Bewegung), ergänzt durch neue oder wiederentdeckte Hobbys und Entspannungstechniken zur langfristigen Stabilisierung.
Gehirnnebel nach COVID-19: Symptome, Folgen und ergotherapeutische Hilfe
Gehirnnebel, auch bekannt als "Brain Fog", ist ein häufiges Symptom, das nach einer COVID-19-Erkrankung bestehen bleibt. Das Robert-Koch-Institut geht derzeit davon aus, dass etwa 6,5% der Betroffenen nach einer COVID-19-Erkrankung unter Gehirnnebel leiden. Dieses Phänomen kann jedoch auch in anderen Zusammenhängen auftreten, etwa nach Virusinfektionen, bei Stress oder während und nach einem Migräne-Anfall. Typische Anzeichen sind Eintrübungen der Konzentration, Wortfindungsstörungen und geistige Erschöpfung, die Betroffene im Alltag stark beeinträchtigen können.
Die Symptome sind eng verbunden mit einer tiefgehenden Erschöpfung, die unabhängig von der Schwere der ursprünglichen Erkrankung auftritt. "Egal wie schwer die Erkrankung war, Gehirnnebel geht fast immer mit Erschöpfung einher, wie aus wissenschaftlicher Literatur bekannt ist."* Gerade diese Kombination macht den Alltag herausfordernd – die Betroffenen kämpfen mit einer verminderten Leistungsfähigkeit, eingeschränkter Konzentration und Schwierigkeiten bei der Planung und Umsetzung von Handlungen. Miriam Leventic, Ergotherapeutin beim Deutschen Verband Ergotherapie e.V. (DVE), betont, dass bei anhaltenden Schwierigkeiten unbedingt ein Arzt aufgesucht werden sollte.*
Ergotherapeutische Unterstützung setzt genau hier an. Im Mittelpunkt steht zunächst das intensive Studium des individuellen Alltags der Patient:innen. Dabei lernen sie Techniken und Strategien, um die eingeschränkte Konzentration und Aufmerksamkeit sowie die beeinträchtigte Reizverarbeitung zu kompensieren. Ein zentrales Element ist das sogenannte Energiemanagement: Betroffene üben, ihre Belastungsgrenzen zu erkennen und einzuhalten. Dieses Konzept, auch als "Pacing"-Methode bekannt, ermöglicht es, Aktivitäten schrittweise auszudehnen, ohne die geistige Erschöpfung weiter zu verstärken.*
Ergotherapeuten begleiten ihre Patient:innen dabei, Kompensationsstrategien zu entwickeln, etwa den Einsatz von Kalendern, Erinnerungs-Apps oder Tagebuchführung, um den Alltag besser zu organisieren. Gerade im Berufsleben ist es wichtig, die eigenen Belastungsgrenzen offen zu kommunizieren, da Konzentrations- und Leistungsschwächen sonst zu Fehlern und Konflikten führen können.* Auch der gezielte Umgang mit auditiven und visuellen Reizen wird trainiert, um Störfaktoren im Arbeitsumfeld zu minimieren. Empfehlungen sind hier beispielsweise, das Handy stummzuschalten, keine Musik im Hintergrund laufen zu lassen oder Gehörschutz zu tragen. Für visuelle Reizüberflutung hilft eine spezielle Arbeits- platzbrille, die Blaulicht filtert, sowie die Anpassung der Bildschirmeinstellungen.*
Ein weiteres wichtiges Thema bei Betroffenen, häufig junge Menschen inmitten ihrer beruflichen Karriere, ist die psychische Belastung durch das Post-Covid-Syndrom. Fragen zur eigenen Gesundheit und beruflichen Zukunft belasten die Psyche erheblich. Die Akzeptanz der eigenen Situation ist daher ein Schlüssel, der die Heilung vorantreibt. Dieses Konzept stammt aus der Verhaltenstherapie und gewinnt auch in der Ergotherapie immer mehr Bedeutung.*
Berufliche Abläufe profitieren darüber hinaus von genügend Bewegung und erholsamen Pausen – ein oft unterschätzter Faktor. Menschen mit Gehirnnebel verbringen häufig den ganzen Tag am Schreibtisch und nutzen selbst ihre Pausen kaum zur Erholung. Kurze Ausflüge in die Natur oder der Austausch mit Kolleg:innen können helfen, neue Energie zu tanken und die Motivation zu steigern, so Miriam Leventic.* Gleichzeitig empfiehlt sie, den Handygebrauch und die Nutzung sozialer Medien drastisch zu reduzieren, um die geistige Belastung zu verringern.*
Wer das Post-Covid-Syndrom und Gehirnnebel überwunden hat, sollte das Gelernte nicht wieder vernachlässigen, sondern weiterhin in den Alltag integrieren. "Das Leben geht weiter, am besten jedoch im angepassten Modus mit Hilfe von Ergotherapie."*
Warum Brain Fog mehr als ein individuelles Problem ist
Das Phänomen des Brain Fogs oder auch Gehirnnebel wirft weitreichende Fragen für unsere Gesellschaft auf. Es geht hier nicht nur um einzelne Betroffene, die unter Konzentrationsproblemen, Antriebslosigkeit oder Entscheidungsunsicherheit leiden, sondern um ein Symptom, dessen Auswirkungen sich tief in das Arbeitsleben, die Gesundheitsversorgung und das psychosoziale Wohlbefinden hineinziehen. Damit stellt Brain Fog eine Herausforderung dar, die über die individuelle Ebene hinausgeht und strukturelle Antworten erfordert.
Post-Covid und Arbeitswelt: Neue Herausforderungen
In der Arbeitswelt gewinnen diese Probleme neue Relevanz, nicht zuletzt durch die Zunahme von Post-Covid-Erkrankungen mit ihren kognitiven Folgen. Arbeitsfähigkeit und Produktivität sind beeinträchtigt, und viele Betroffene erleben erhöhten Druck, ihren Alltag trotz anhaltender Symptome zu bewältigen. Die traditionelle Vorstellung von Gesundheit und Arbeitskraft stößt dabei an Grenzen. Die Arbeitswelt braucht deshalb flexiblere Konzepte, die längere Erholungsphasen und angepasste Tätigkeiten ermöglichen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.
Gleichzeitig entstehen neue Chancen für die Ergotherapie. Sie kann durch gezielte Interventionen dazu beitragen, die Selbstständigkeit und Teilhabe der Betroffenen zu fördern und ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, um mit kognitiven Einschränkungen besser umzugehen. Dies kann eine Brücke schlagen zwischen medizinischer Versorgung und sozialer Integration.
Gesellschaftliche Folgen und politischer Handlungsbedarf
Die Auswirkungen von Brain Fog auf das psychosoziale Wohlbefinden sind vielschichtig. Die Betroffenen sehen sich oft mit einem Mangel an Anerkennung sowie strukturellen Barrieren konfrontiert, die ihre Lebensqualität massiv beeinträchtigen. Die Gesundheitsversorgung steht vor der Aufgabe, diese komplexen Symptomatiken angemessen zu erfassen und zu behandeln. Hier besteht dringender Bedarf an offizieller Anerkennung von Post-Covid als Krankheitsbild und an geregelten Versorgungsstrukturen.
Folgende Herausforderungen und Maßnahmen sind zentral:
- Anpassung der Arbeitsplätze und Entwicklung flexibler Arbeitsmodelle
- Ausbau ergotherapeutischer Angebote zur Unterstützung kognitiver Rehabilitation
- Klare politische Rahmenbedingungen für Anerkennung und Versorgung von Post-Covid-Symptomen
- Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die psychosozialen Dimensionen von Brain Fog
Für einen nachhaltigen Umgang mit Brain Fog sind daher Veränderungen auf verschiedenen Ebenen notwendig — von der Gesundheitspolitik über Arbeitgeber bis hin zu präventiven Maßnahmen.
Ein wichtiger Fokus liegt zudem auf der Forschung und Prävention. Nur durch fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse können die Mechanismen von Brain Fog besser verstanden und wirksame Therapien entwickelt werden. Parallel braucht es gesellschaftliche Unterstützungssysteme, die Betroffene nicht alleinlassen und gesellschaftlichen Stigmata entgegenwirken. So bietet sich die Chance, Brain Fog als gesamtgesellschaftliches Thema zu verankern, das medizingerecht und sozial umfassend adressiert wird.
Original-Content von: Deutscher Verband Ergotherapie e.V. (DVE), übermittelt durch news aktuell
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Brain Fog nach COVID-19: So unterstützen Ergotherapeut:innen Betroffene
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