– Weltsozialgipfel in Doha fordert stärkere Rechte für Zivilgesellschaften gegen soziale Ungleichheit
– Globale Zunahme von Einschränkungen zivilgesellschaftlicher Freiheiten auch in Demokratien
– Ohne freie Organisationen und Gewerkschaften kann soziale Entwicklung nicht gelingen
Weltsozialgipfel in Doha: Zivilgesellschaft unter Druck
Vom 4.–6.11.2025 findet in Doha der zweite Weltsozialgipfel statt – drei Jahrzehnte nach dem wegweisenden Gipfel von Kopenhagen, der mit der Kopenhagener Erklärung ein Bekenntnis zu sozialer Gerechtigkeit, Menschenrechten und Teilhabe abgab. Das Bonner SÜDWIND-Institut fordert anlässlich des Gipfels ein deutliches Signal gegen die Einschränkung zivilgesellschaftlicher Freiheiten. In seiner Pressemitteilung vom 30. Oktober 2025 warnt der Verein: „Repressionen, Überwachung und Einschränkungen der Vereins- und Versammlungsfreiheit sind mittlerweile auch in demokratischen Staaten zu beobachten.“ *
SÜDWIND hat diese Entwicklung zuletzt in der Studie „Bedrohte Zivilgesellschaft: Die vielfältigen Dimensionen von Shrinking Spaces“ dokumentiert. Dr. Sabine Ferenschild vom SÜDWIND-Institut betont die dramatischen Konsequenzen: „Ohne die Freiheit, sich zu organisieren, zu vernetzen und Missstände zu benennen, verlieren Gesellschaften die Fähigkeit, soziale Ungleichheit zu bekämpfen.“
Die Organisation appelliert daher an die Delegierten des Weltsozialgipfels: „SÜDWIND fordert daher die Delegierten des Weltsozialgipfels auf, von den UN-Mitgliedsstaaten einen stabilen rechtlichen Rahmen zu verlangen, der nationalen Zivilgesellschaften die Freiheiten sichert, die sie für ihre wichtige Arbeit gegen soziale Ungleichheit benötigen.“ Ferenschild bringt die zentrale Botschaft auf den Punkt: „Wer Armut bekämpfen will, muss Demokratie stärken – gerade jetzt, wo in vielen Ländern die Freiräume schwinden. Wenn zivilgesellschaftliche Stimmen zum Schweigen gebracht oder diskreditiert werden, wächst soziale Ungleichheit. Ohne freie Gewerkschaften und eine kritische Öffentlichkeit kann soziale Entwicklung nicht gelingen.“
Wenn die Zivilgesellschaft verstummt
Der Begriff „Shrinking Spaces“ beschreibt ein globales Phänomen, bei dem staatliche Maßnahmen die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Akteure systematisch verkleinern. Diese Einschränkungen zeigen sich auf vielfältige Weise: durch gesetzliche Restriktionen, die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit begrenzen, durch bürokratische Hürden, die die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen erschweren, oder durch Repressionen wie Überwachung und Einschüchterung von Aktivistinnen und Aktivisten.*
Konkret bedeutet „Shrinking Spaces“, dass die kritische Öffentlichkeit an Einfluss verliert. Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften in ihrer Arbeit behindert werden, fehlt der Gesellschaft ein wichtiges Korrektiv.* Diese Gruppen decken Missstände auf, geben Bevölkerungsgruppen eine Stimme und treiben sozialen Wandel voran. Werden sie mundtot gemacht, schwindet auch die Fähigkeit einer Gesellschaft, soziale Ungleichheit wirksam zu bekämpfen. Die Einschränkung zivilgesellschaftlicher Freiheiten und die Zunahme sozialer Ungleichheit sind daher zwei Seiten derselben Medaille.
Warum betrifft das den Weltsozialgipfel?
Der Weltsozialgipfel in Doha bietet eine internationale Plattform, um genau diese Zusammenhänge zu thematisieren. Vor dreißig Jahren, auf dem ersten Weltsozialgipfel in Kopenhagen, verpflichteten sich die UN-Mitgliedsstaaten bereits zu sozialer Gerechtigkeit und Menschenrechten. Der aktuelle Gipfel muss nun Antworten auf die Frage finden, wie diese Ziele in einer Zeit erreicht werden können, in denen die Handlungsräume für deren wichtigste Akteure schrumpfen. Denn internationale Verpflichtungen zur Armutsbekämpfung bleiben wirkungslos, wenn diejenigen, die sie auf nationaler Ebene einfordern und umsetzen sollen, systematisch behindert werden. Der Gipfel in Doha steht damit vor der Herausforderung, nicht nur über soziale Ungleichheit zu sprechen, sondern auch die Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sie tatsächlich überwunden werden kann.
Zahlen und Fakten zu Shrinking Spaces
Die Einschränkung zivilgesellschaftlicher Räume lässt sich durch konkrete Daten belegen. Verschiedene Untersuchungen zeigen das Ausmaß dieses globalen Phänomens auf.
109 Länder sind von einem eingeschränkten zivilgesellschaftlichen Raum betroffen; nur 3 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Ländern mit offenem zivilgesellschaftlichem Raum (Quelle: VENRO, Stand: ca. 2019–2023)*.
| Jahr/Zeitraum | Indikator | Wert | Einheit | Quelle/Stand |
|---|---|---|---|---|
| ca. 2019–2023 | Betroffene Länder | 109 | Länder | VENRO* |
| ca. 2019–2023 | Weltbevölkerung in offenem Raum | 3 | Prozent | VENRO* |
Auch Deutschland bleibt von dieser Entwicklung nicht verschont. Diese Einstufung markiert eine bedeutende Veränderung in der Bewertung deutscher Demokratieverhältnisse.
Als Instrument zur Einschränkung zivilgesellschaftlicher Arbeit nutzen Regierungen häufig Sicherheitsgesetze. Regierungen verwenden Anti-Terrorismus-Gesetzgebung als Mittel zur Verschärfung von Restriktionen, administrativen Hürden und unverhältnismäßigen Kontrollen, um NRO finanziell auszutrocknen (Quelle: VENRO, Stand: ca. 2023)*.
Die konkreten Auswirkungen zeigen sich auch in der alltäglichen Arbeit von Engagierten. Flüchtlingshelfer in Deutschland werden im Zuge aufkeimenden Nationalismus angefeindet; zivilgesellschaftliches Engagement wird insbesondere in Osteuropa und dem globalen Süden zunehmend eingeschränkt (Quelle: Brot für die Welt, Stand: 2025)*. Diese Entwicklung betrifft somit sowohl etablierte Demokratien als auch andere Weltregionen.
Wenn zivilgesellschaftliche Räume schrumpfen
Eingeschränkte Freiräume für zivilgesellschaftliches Engagement zeigen konkrete Auswirkungen auf demokratische Prozesse und soziale Gerechtigkeit. Wo Organisationen und Initiativen an Handlungsspielraum verlieren, schwächt dies die demokratische Kontrollfunktion gegenüber politischen und wirtschaftlichen Akteuren. Die Folgen betreffen verschiedene gesellschaftliche Bereiche gleichermaßen.
Eine unmittelbare Konsequenz betrifft die Unterstützung vulnerabler Gruppen. Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen durch bürokratische Hürden oder Finanzierungsprobleme in ihrer Arbeit eingeschränkt werden, erreichen wichtige Hilfsangebote die Bedürftigen nicht mehr in vollem Umfang. Sozial benachteiligte Menschen verlieren dadurch entscheidende Anlaufstellen und Unterstützungsnetzwerke.
Gleichzeitig leidet die demokratische Debattenkultur unter diesen Entwicklungen. Wenn kritische Stimmen durch administrative Maßnahmen oder Repressionen eingeschüchtert werden, fehlt es an wichtigen Perspektiven in öffentlichen Diskussionen. Diese Entwicklung betrifft nicht nur autoritäre Staaten, sondern zunehmend auch demokratische Gesellschaften. Die Transparenz politischer Prozesse nimmt ab, wenn zivilgesellschaftliche Akteure nicht mehr uneingeschränkt über Missstände berichten können.
Besonders deutlich werden die Konsequenzen im Bereich der Menschenrechtsarbeit und gewerkschaftlichen Organisation. Ohne freie Gewerkschaften und unabhängige Menschenrechtsorganisationen fehlt es an wichtigen Korrektiven gegen soziale Ungleichheit. Wer sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, benötigt Handlungsspielräume, um wirksam arbeiten zu können.
Die internationalen Auswirkungen dieser Entwicklungen sind ebenfalls bedeutsam. Globale Ungleichheiten verstärken sich, wenn zivilgesellschaftliche Akteure in verschiedenen Weltregionen nicht mehr frei agieren können. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung erfordert grenzüberschreitende Zusammenarbeit und den Austausch zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen – beides wird durch schrumpfende Handlungsräume erheblich erschwert.*
Was jetzt auf dem Spiel steht
Der Weltsozialgipfel in Doha bietet die historische Chance, konkrete Weichen für den Schutz zivilgesellschaftlicher Räume zu stellen. Nach den grundsätzlichen Forderungen, die zu Beginn des Gipfels formuliert wurden, geht es nun um die Umsetzung.
Internationale Zusammenarbeit kann lokale Zivilgesellschaften stärken, indem sie deren Kapazitäten fördert. Das bedeutet nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch Wissenstransfer, Rechtsberatung und den Aufbau von Netzwerken über Ländergrenzen hinweg. Gerade in Regionen, wo zivilgesellschaftliche Arbeit zunehmend unter Druck gerät, sind solche internationalen Partnerschaften ein wichtiger Schutzfaktor.
Bereits während des Gipfels könnten Delegierte kurzfristige Signale setzen, zum Beispiel durch öffentliche Bekenntnisse zu Schutzmechanismen für bedrohte Aktivistinnen und Aktivisten oder durch Zusagen für Programme zum Kapazitätsaufbau.
Die Zeit drängt. Wer soziale Ungleichheit wirksam bekämpfen will, muss diejenigen schützen, die sich für Gerechtigkeit einsetzen. Der Ausgang des Weltsozialgipfels wird zeigen, ob die internationale Gemeinschaft diese Einsicht in handfeste Beschlüsse übersetzen kann. Bleiben Sie informiert und unterstützen Sie dort, wo Sie Einfluss nehmen können – jede Stimme zählt in diesem Ringen um demokratische Freiräume.
Die hier zusammengefassten Informationen und Zitate stammen aus einer Pressemitteilung des SÜDWIND-Instituts.
Weiterführende Quellen:
- „109 Länder sind von einem eingeschränkten zivilgesellschaftlichen Raum betroffen; nur 3 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Ländern mit offenem zivilgesellschaftlichem Raum“ – Quelle: https://blog.venro.org/shrinking-spaces-was-steckt-dahinter-und-wie-koennen-nro-darauf-reagieren/
- „Amnesty International stufte Deutschland erstmals als Land mit eingeschränktem zivilgesellschaftlichem Handlungsspielraum ein“ – Quelle: https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/shrinking-civic-in-deutschland/
- „Regierungen verwenden Anti-Terrorismus-Gesetzgebung als Mittel zur Verschärfung von Restriktionen, administrativen Hürden und unverhältnismäßigen Kontrollen, um NRO finanziell auszutrocknen“ – Quelle: https://blog.venro.org/shrinking-spaces-was-steckt-dahinter-und-wie-koennen-nro-darauf-reagieren/
- „Flüchtlingshelfer in Deutschland werden im Zuge aufkeimenden Nationalismus angefeindet; zivilgesellschaftliches Engagement wird insbesondere in Osteuropa und dem globalen Süden zunehmend eingeschränkt“ – Quelle: https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/shrinking-space/
7 Antworten
Ich finde den Ansatz des Weltsozialgipfels in Doha wichtig. Wir brauchen internationale Zusammenarbeit, um den Druck auf zivilgesellschaftliche Gruppen zu verringern. Glaubt ihr, dass solche Gipfel tatsächlich einen Unterschied machen können?
Ich bin skeptisch. Oft bleibt es bei schönen Worten und es passiert wenig im Nachhinein. Vielleicht sollten wir auch Druck auf unsere Regierungen ausüben.
‚Schrumpfende Räume‘ sind ein ernstes Thema! Es wäre gut zu sehen, wie konkrete Maßnahmen ergriffen werden können. Wo sind unsere Prioritäten als Gesellschaft?
Die Verbindung zwischen sozialen Ungleichheiten und dem Schrumpfen der Zivilgesellschaft ist klar. Wenn wir unsere Stimmen nicht erheben dürfen, wie soll dann ein Wandel stattfinden? Hat jemand Ideen, wie wir dies ansprechen können?
Ich stimme dir vollkommen zu! Wir müssen mehr über diese Themen sprechen und vielleicht lokale Initiativen ins Leben rufen. Was haltet ihr von einer Petition für mehr Rechte für zivilgesellschaftliche Gruppen?
Es ist erschreckend, wie die Repressionen auch in Demokratien zunehmen. Ich frage mich, was wir als Gesellschaft tun können, um diese Entwicklung zu stoppen? Vielleicht sollten wir mehr auf lokale Organisationen achten und sie unterstützen.
Ich finde es wirklich besorgniserregend, dass in so vielen Ländern die zivilgesellschaftlichen Freiheiten eingeschränkt werden. Wie können wir erwarten, dass soziale Ungleichheit bekämpft wird, wenn die Stimmen der Menschen nicht gehört werden? Was denkt ihr darüber?