Seit 2022 gibt es auch in Deutschland die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, die nach den Vorgaben aus Brüssel verlässlich, objektiv und zugänglich sein muss. Zugänglich meint, dass Arbeitnehmer ebenso wie Arbeitgeber ständig Zugriff auf die Erfassung der geleisteten Arbeitszeit haben müssen.
Die EU-Direktive entstand nach einem Konflikt zwischen der spanischen Gewerkschaft CCOO und der Deutschen Bank, die noch nicht die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten protokollierte. Die CCOO befürchtete Willkür und Übervorteilung und verlangte nach einem transparenten System für die Arbeitszeiterfassung. Letztendlich entschied die EU zugunsten der CCOO und bereitete das Gesetz zur Pflicht der Arbeitszeiterfassung vor, das heute in allen EU-Staaten Wirklichkeit geworden ist.
Möglichkeiten für die Arbeitszeiterfassung
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung kann auf verschiedene Weise erfüllt werden. Bereits der klassische Stundenzettel (eine Stundenzettel Vorlage erhalten Sie hier) kann zur Protokollierung der Arbeitszeiten herangezogen werden. Für diese Methode sprechen der geringe Aufwand und die kaum vorhandenen Kosten. Er ist allerdings ausschließlich für Vereine und Kleinbetriebe eine effiziente Lösung, denn die Zettelwirtschaft beansprucht Platz, belastet die Umwelt und ist fehleranfällig.
Die Umstellung der Arbeitszeiterfassung mit Excel-Tabellen kann als Zwischenschritt zwischen manuellen und digitalen Methoden verstanden werden. Die modernen Entwicklungen in der Arbeitswelt der Industrie 4.0 machen es möglich, dass sich klassische Methoden zur Arbeitszeiterfassung wie die Stempeluhr und der Dienstplan heute digitalisieren lassen. Großbetriebe gehen fast vollständig zur digitalen Arbeitszeiterfassung mithilfe von spezialisierten Programmen über, welche die wichtigsten Funktionen abdecken und sich mit anderen Betriebsprozessen verknüpfen lassen.
Paradigmenwechsel: vom Disziplinierungsinstrument zur Transparenz
Die Arbeitszeiterfassung ist beileibe keine neue Erfindung. Die früher bekannte Stechuhr – ein Uhrwerk speziell für die Erfassung der Arbeitszeit – war in den Fabriken einst gang und gäbe. Sie weckt nicht unbedingt angenehme Assoziationen, denn sie war als Disziplinierungsinstrument des „Patriarchen“ in der Fabrik verschrien und nur er hatte auf die Zahlen Zugriff.
Die Tatsache, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf Betreiben einer Gewerkschaft EU-weit eingeführt wurde, deutet hingegen auf einen Paradigmenwechsel hin. Es wird Aufgabe und Anspruch dieses Artikels sein, diesen Zusammenhang offenzulegen und zu begründen, warum die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung eine Win-win-Situation für alle am Produktionsprozess Beteiligten sein kann, ohne die Schattenseiten dieser Entwicklung zu verschweigen.
Die Vor- und Nachteile der Arbeitszeiterfassung für Arbeitnehmer
Mit der Erfüllung der EU-Direktive zur Arbeitszeiterfassung in Betrieben können Beschäftigte sicher sein, dass sie nicht übervorteilt werden und ihre Arbeitszeiten sowie ihre Sonderleistungen wie Überstunden und Arbeiten an Sonn- und Feiertagen zuverlässig berechnet werden. Wie wichtig ein solches Gesetz gerade für Deutschland ist, zeigt eine Studie des Marktforschungsinstituts Opinion Matters, die enthüllt, dass hierzulande fast zwei Drittel aller Arbeitnehmer regelmäßig unbezahlte Überstunden leisten. Damit sei Deutschland „Spitzenreiter“ in Europa.
Aufgrund der Verpflichtung zur Transparenz haben Arbeitnehmer hingegen die Möglichkeit, in diesem Fall vor Gericht zu ziehen und die Nichtbezahlung geleisteter Arbeit zuverlässig nachweisen zu können. Im Gegenzug werden allerdings ebenfalls unentschuldigte Fehltage und Verspätungen transparent aufgezeichnet, sodass die Arbeitszeiterfassung nach wie vor ein Disziplinierungsinstrument ist. Zudem können durch die Protokollierung falsche Anreize gesetzt werden, dass die Quantität der Arbeitszeit höher gewichtet wird als die Qualität. Denn das System erfasst lediglich die Arbeitszeit und nicht, wie Beschäftigte diese mit Leben füllen.
Die Vor- und Nachteile der Arbeitszeiterfassung für Arbeitgeber
Arbeitgeber, welche die EU-Direktive in ihren Betrieben umsetzen, profitieren von einer vereinfachten Lohnbuchabrechnung und können die Besetzung von Schichten besser planen. Dies gilt vor allem dann, wenn sie sich fortschrittlicher Tools für die Arbeitszeiterfassung bedienen, die Unternehmer bei der Schichtplanung unterstützen. Somit können Schaubilder für die Schichtbesetzung im Soll- und Ist-Zustand der HR-Abteilung den Interventionsbedarf auf die Person genau anzeigen und Möglichkeiten für Delegierungen und Schichtzuweisungen bieten, während Arbeitnehmer auf Grundlage dieses Schaubildes ihre Schichten untereinander tauschen können.
Weiterhin erfüllen Unternehmer die Vorgaben aus Brüssel und sind damit rechtlich auf der sicheren Seite. Viele Programme bieten Möglichkeiten für die Analyse von Arbeitsmustern und der Produktivität, die sich zur Optimierung von Arbeitsprozessen nutzen lassen. Die Gefahr, dass Quantität von Arbeitsstunden künftig eine größere Bedeutung als Qualität hat, obwohl es vor allem die Qualität der geleisteten Arbeit ist, die über die Arbeitsproduktivität entscheidet, gilt ebenso für Unternehmer. Diese sind überdies herausgefordert, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung unter Berücksichtigung des Datenschutzes zu leisten, was insbesondere bei der Ortung von Mitarbeitern im Home-Office und Außendienst gilt.
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