Primärarztmodell in der Kritik: Fachärzte fordern tiefgreifende Gesundheitsreform statt Pflicht-Gatekeeping im deutschen Gesundheitssystem

Der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa) warnt, ein verpflichtendes hausärztliches Gatekeeping bremse den schnellen Zugang zu notwendiger Diagnostik und Behandlung, erhöhe Bürokratie und koste unnötig Ressourcen. Stattdessen fordert der Verband eine echte Strukturreform mit besserer Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzt:innen, der Stärkung ambulanter Fachärzt:innen und der Abschaffung veralteter Budgetgrenzen. Patient:innen mit klaren Notfällen wie Knochenbrüchen sollen direkt in die entsprechende Fachpraxis gelenkt werden, statt über Umwege. Die Öffnung von Krankenhäusern für die ambulante Regelversorgung lehnt der SpiFa als Fehlsteuerung ab.
VerbandsMonitor – Themen, Trends und Ticker vom 13.04.2025

– SpiFa lehnt verpflichtendes hausärztliches Gatekeeping ab und fordert strukturierte Haus-Facharzt-Zusammenarbeit.
– Öffnung von Krankenhäusern für ambulante Regelversorgung kritisiert SpiFa als kostenineffizient und versorgungswidrig.
– Echte Strukturreformen mit Abschaffung der Facharztbudgets und Stärkung ambulanter Versorgung erforderlich.

SpiFa gegen verpflichtendes hausärztliches Gatekeeping und Öffnung der Krankenhäuser

Der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa) widerspricht deutlich der Einführung eines verpflichtenden hausärztlichen Gatekeeping-Systems, wie es im aktuellen Koalitionsvertrag diskutiert wird. Die Fachärzteschaft lehnt es ebenso ab, die Krankenhäuser für die ambulante Regelversorgung zu öffnen. Stattdessen fordert der SpiFa eine bedarfsgerechtere Versorgung und eine engere Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärztinnen und Fachärzten.

Angesichts knapper Ressourcen im Gesundheitswesen müsse es vor allem darum gehen, dass Patientinnen und Patienten sofort die medizinische Behandlung erhalten, die sie wirklich benötigen. Dabei sei ein pauschales hausärztliches Gatekeeping mit verpflichtender Überweisung für alle Patienten ungeeignet und kontraproduktiv. Dr. med. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des SpiFa, betont:
„Niemand braucht in unserem Gesundheitssystem Hausärzte als Türsteher für den Zugang zu Prävention, Vorsorge, notwendiger Diagnostik und Behandlung. Das werden unsere Patientinnen und Patienten nicht akzeptieren.“

Zugänge zur Vorsorge oder notwendigen Diagnostik müssten ohne unnötige Hürden gewährleistet sein. Statt zusätzliche bürokratische Abläufe aufzubauen, sollten Haus- und Fachärzte künftig strukturierter und besser zusammenarbeiten. Für Patientengruppen mit regelmäßigem Facharztbedarf, etwa wegen chronischer Erkrankungen, hält der SpiFa eine verpflichtende Überweisung für unnötige Fehlsteuerung:
„Das ist bürokratische und teure Förmelei, die zusätzlich kostenträchtige und unnötige Arzt-Patienten-Kontakte erzeugt, statt abzubauen.“

Auch im Bereich der Akut- und Notfallversorgung warnt der SpiFa vor den Folgen eines Gatekeeping durch Hausärzte. Jan Henniger, SpiFa-Vorstandsmitglied, erklärt:
„Patienten mit gebrochenen und verstauchten Armen und Beinen haben weder etwas in der Hausarztpraxis noch in den Notaufnahmen zu suchen. Gerade in den Wintermonaten würde der Weg über die Hausarztpraxen für gestürzte Patienten doch dazu führen, dass die Patienten zur Überweisung gleich noch das Grippevirus aus dem Wartezimmer dazu bekommen. Das kann doch keiner ernsthaft wollen.“
Für solche Fälle sei der direkte Zugang zu chirurgischen oder orthopädischen Praxen erforderlich.

Kritisch sieht der SpiFa zudem die Pläne, Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu öffnen, um Terminengpässe bei Fachärztinnen und Fachärzten zu kompensieren. Eine solche Öffnung diene nicht der bedarfsgerechten Behandlung, sondern ermögliche Krankenhäusern, ihre stationären Betten besser auszulasten – oft zum Nachteil der Patientinnen und Patienten. Dr. Heinrich macht klar:
„Politik muss endlich den Mut zu echten Strukturreformen aufbringen. Die Öffnung einer weiteren Schleuse, die es Krankenhäusern ermöglicht, ihre stationäre Bettenauslastung zu steuern und Patienten unnötig stationär zu behandeln, hat mit bedarfsgerechter Versorgung nichts zu tun. Das ist das Gegenteil einer Strukturreform.“

Um eine zuverlässige ambulante Versorgung und schnelle Termine sicherzustellen, fordert der SpiFa die Stärkung der niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte sowie die vollständige Abschaffung der inzwischen überholten und beschränkenden Arztbudgets. Bereits die geplante Notfallreform biete die Gelegenheit, die Praxis bettenauslastungsorientierter Krankenhaus-Einweisungen über Notaufnahmen zu beenden und stattdessen transparentere und patientenorientierte Strukturen zu schaffen.

Insgesamt macht der SpiFa klar, dass eine nachhaltige Reform des Gesundheitswesens nicht über starre Gatekeeping-Modelle und die Ausweitung der Krankenhausambulanzen führt, sondern über eine bessere, gezielte Abstimmung zwischen den verschiedenen ärztlichen Versorgungsbereichen. Nur so könne die Versorgung effizienter gestaltet und die Qualität für Patientinnen und Patienten verbessert werden.

Hintergründe, Bedeutung und Ausblick: Die Primärarztdebatte und ihre Folgen für das Gesundheitssystem

Die Diskussion um die Einführung eines Primärarztsystems berührt nicht nur Ärzte und Fachverbände, sondern hat direkte Auswirkungen auf alle Menschen in Deutschland. Die Frage, wer künftig den ersten Zugang zu medizinischer Versorgung steuert, ist eine grundlegende Strukturdebatte im Gesundheitswesen. Dabei geht es vor allem um den Zugang zu Ärzten, Wartezeiten, die Qualität der Versorgung und die effiziente Nutzung knapper Ressourcen. Die geplante Umgestaltung trifft den Kern dessen, wie Patientinnen und Patienten medizinische Leistungen erhalten – ob sie sich bei allen Beschwerden zunächst an ihren Hausarzt wenden müssen oder weiterhin frei zu Fachärztinnen und Fachärzten gehen können.

Der Koalitionsvertrag sieht ein verpflichtendes Gatekeeping durch Hausärzte vor, bei dem sie als zentrale Lotsen für Diagnose und Therapie fungieren. Die Befürworter eines solchen Systems argumentieren, dass ein klarer erster Ansprechpartner für medizinische Fragen die Versorgung besser strukturieren und unnötige Arztbesuche oder teure Krankenhausbehandlungen verringern könne. So soll verhindert werden, dass das Gesundheitssystem durch Mehrfachuntersuchungen und ineffektive Abläufe unnötig belastet wird. Für viele Anhänger ist das Primärarztsystem eine Chance, die Qualität und Effizienz der Versorgung zu steigern und Wartezeiten zu reduzieren.

Demgegenüber stehen aber auch gewichtige Einwände, vor allem vonseiten der Fachärzteschaft. Diese warnt, dass die Hausärzte durch ein verpflichtendes Gatekeeping überlastet werden könnten und Patientinnen und Patienten unnötige Umwege gemacht würden – etwa wenn sie gleich mit gebrochenen Gliedmaßen oder akuten Beschwerden zum Facharzt oder in die Notaufnahme müssten. Dr. med. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbandes Fachärztinnen und Fachärzte, warnt: „Niemand braucht in unserem Gesundheitssystem Hausärzte als Türsteher für den Zugang zu Prävention, Vorsorge, notwendiger Diagnostik und Behandlung. Das werden unsere Patientinnen und Patienten nicht akzeptieren.“ Er fordert stattdessen eine bessere, weniger bürokratische Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten sowie die Stärkung der ambulanten Facharztversorgung. Auch die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Aufgaben lehnt er ab, da dies die Gefahr berge, Patienten unnötig stationär zu behandeln.

Die Hauptfragen der Debatte: Was steht aktuell zur Entscheidung?

Im Mittelpunkt der laufenden Debatte stehen mehrere Fragen: Sollen Patientinnen und Patienten künftig immer zuerst zum Hausarzt gehen, bevor sie Spezialisten aufsuchen? Wie lassen sich Wartezeiten verkürzen, ohne neue Hürden aufzubauen? Und welche Rolle sollen Krankenhäuser in der ambulanten Versorgung spielen? Ob die geplante Reform tatsächlich dazu führt, dass Patientinnen und Patienten schneller und bedarfsgerecht versorgt werden, ist umstritten. Auch die Frage, welche Patientengruppen von einem verpflichtenden Primärarztzugang profitieren oder ob Risiken für eine schlechtere Versorgung entstehen, ist noch offen.

Wie könnte die Zukunft der medizinischen Versorgung in Deutschland aussehen?

Verschiedene Szenarien sind denkbar: Ein Primärarztsystem könnte Strukturen schaffen, die Ressourcen sparsam und zielgerichtet einsetzen. Patienten mit chronischen Erkrankungen oder komplexen Fällen würden durch koordinierte Zusammenarbeit optimal versorgt. Andererseits könnten Zugangsbeschränkungen zu Fachärzten und Notfallversorgung den direkten, schnellen Kontakt erschweren. Damit wird die politische Entscheidung auch zu einer Abwägung zwischen Zugänglichkeit, Versorgungsqualität und Wirtschaftlichkeit.

Andere europäische Länder zeigen unterschiedliche Wege, wie ein Primärarztmodell funktionieren kann:

  • In den Niederlanden ist der Hausarzt bereits der zentrale Ansprechpartner für fast alle medizinischen Anliegen. Das stärkt die Kontinuität der Behandlung und verbessert das Kostenmanagement im Gesundheitssystem.
  • In Österreich hingegen gibt es zwar ebenfalls Hausärzte als erste Anlaufstelle, doch der direkte Zugang zu Fachärzten ist weiterhin frei und gilt als wichtig für schnelle Diagnosen.

Diese internationalen Beispiele verdeutlichen, dass es nicht das eine Modell gibt. Entscheidend ist, wie flexibel die Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten organisiert wird und wie die Versorgungsstrukturen auf regionale Bedingungen angepasst sind.

Die Primärarztdebatte ist demnach eine grundlegende Diskussion darüber, wie ein modernes Gesundheitssystem Patientenorientierung, Effizienz und Qualität unter einen Hut bringt – ohne den Zugang unnötig zu erschweren. Sie betrifft jeden, der medizinische Leistungen in Anspruch nimmt oder künftig in Anspruch nehmen wird.

Die Inhalte und Zitate dieses Beitrags basieren auf einer Pressemitteilung des Spitzenverbands Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands e.V. (SpiFa).

7 Antworten

  1. „Strukturreformen sind notwendig“ – da stimme ich zu! Aber wie können wir sicherstellen, dass diese Reformen tatsächlich den Patienten zugutekommen? Gibt es Vorschläge oder Beispiele aus anderen Ländern?

  2. Ich bin ganz bei SpiFa, wenn es um die Stärkung der ambulanten Versorgung geht. Die Abschaffung von Facharztbudgets könnte tatsächlich helfen! Wer hat Erfahrungen mit dem aktuellen System und kann das bestätigen?

    1. Ja genau! Die Bürokratie ist oft ein großes Hindernis im Gesundheitswesen. Vielleicht sollten wir auch mal darüber nachdenken, wie man bürokratische Abläufe vereinfachen kann.

  3. Die kritische Sicht auf die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Versorgungen finde ich berechtigt. Wir sollten uns fragen, ob das wirklich im Interesse der Patienten ist. Wie könnte eine bessere Lösung aussehen?

    1. Das ist ein guter Punkt! Ich habe auch Bedenken bezüglich der Qualität der Versorgung. Wenn mehr Patienten in den Krankenhäusern sind, leidet dann nicht die individuelle Betreuung? Was denkt ihr darüber?

  4. Ich denke auch, dass das verpflichtende Gatekeeping nicht der richtige Weg ist. Die Idee, dass Hausärzte als Türsteher fungieren sollen, klingt nicht gut. Könnten wir nicht einfach mehr Ressourcen für die Fachärzte bereitstellen?

  5. Ich finde den Ansatz von SpiFa interessant. Es ist wirklich wichtig, dass Patienten schnell die Behandlung bekommen, die sie brauchen. Was haltet ihr von der Idee, die Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzten zu verbessern?

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