– VdK-Präsidentin Bentele kritisiert unterfinanzierten Haushaltsentwurf 2026 der Pflegeversicherung
– Bundesregierung verweigert Rückzahlung von 5,2 Milliarden Corona-Ausgleichsfonds an Pflegekassen
– VdK prüft Musterklagen; Gutachten bestätigt verfassungswidrige Zweckentfremdung von Beitragsgeldern
VdK kritisiert geplanten Haushaltsentwurf 2026 scharf wegen Unterfinanzierung der Pflegeversicherung
Der derzeit diskutierte Haushaltsentwurf 2026 von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil stößt beim Sozialverband VdK auf deutliche Kritik. Die VdK-Präsidentin Verena Bentele bewertet das vorgesehene Vorgehen als problematisch, da es keine nachhaltige Lösung für die chronisch unterfinanzierte gesetzliche Pflegeversicherung darstelle. Im geplanten Entwurf ist für das kommende Haushaltsjahr lediglich ein zinsfreies Darlehen in Höhe von zwei Milliarden Euro vorgesehen, während großzügige Bundeszuschüsse ausgeschlossen bleiben. Dieses Vorgehen hält Bentele für unzureichend: „Der Haushaltsentwurf 2026 von Finanzminister Klingbeil verschärft die chronische Unterfinanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung. Statt im kommenden Haushaltsjahr lediglich ein zinsfreies Darlehen in Höhe von zwei Milliarden Euro bereitzustellen und großzügige Bundeszuschüsse auszuschließen, fordere ich die Bundesregierung auf, erst einmal ihre Schulden bei den Pflegekassen zu begleichen.“
Der Hintergrund der Kritik liegt darin, dass während der Corona-Pandemie Milliarden von Euro aus den Beitragsgeldern der Pflegeversicherung zweckentfremdet worden seien. Über den Ausgleichsfonds seien Gelder für gesamtgesellschaftliche Maßnahmen abgerechnet, aber nur teilweise zurückerstattet worden. Aktuell seien noch 5,2 Milliarden Euro offen, was laut dem VdK nicht akzeptabel sei. Bentele warnt: „Dieser Zugriff auf die Beitragsgelder verletzt das aus dem Grundgesetz abzuleitende Gebot der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und stellt damit eine verfassungswidrige Zweckentfremdung dar. Dass der Bund die Rückzahlung konsequent verweigert, erweckt den Eindruck, dass er bewusst Spardruck auf die Pflegeversicherung ausüben möchte. Das wäre klar abzulehnen.“
Die Bedeutung dieses Themas wird auch durch ein rechtswissenschaftliches Gutachten untermauert. Prof. Dr. Dagmar Felix von der Universität Hamburg kommt darin zu dem Ergebnis, dass ein Zugriff auf Sozialversicherungsbeiträge unzulässig ist, wenn diese zur Finanzierung des allgemeinen Staatshaushalts verwendet werden. Für den Weg vor Gericht sieht sie Chancen: „Eine Klage der Beitragszahler vor den Sozialgerichten hält auch sie für möglich.“
Die Debatte um den Haushaltsentwurf 2026 rückt damit zentrale Fragen der Finanzierung sozialer Sicherungssysteme in den Fokus. Die Forderungen des VdK und die Prüfung möglicher Musterklagen seiner Mitglieder zeigen, wie umstritten und wichtig die künftige Handhabung von Mitteln, insbesondere im Bereich der Pflegeversicherung, ist. Durch die kritische Auseinandersetzung mit dem Haushaltsentwurf werden die Folgen für Beitragszahler und Versicherte klar sichtbar.
Hintergründe und gesellschaftliche Tragweite des Pflegefinanzierungsstreits
Das deutsche Sozialversicherungssystem basiert auf der engen Zweckbindung von Beitragsgeldern. So werden Beiträge der Versicherten gezielt für festgelegte Leistungen verwendet – etwa in der Kranken-, Renten- oder Pflegeversicherung. Diese strikte Trennung stellt eine zentrale Säule des Sozialstaats dar, denn sie schafft Transparenz und Vertrauen. Werden eingezahlte Beiträge zweckentfremdet, kann das System an Legitimität und Finanzierungsgrundlage verlieren.
Die Pflegeversicherung, im Jahr 1995 als zweite Säule der sozialen Sicherung neben der Krankenversicherung eingeführt, übernimmt dabei eine besondere Rolle. Sie ist die einzige Sozialversicherung, die explizit für die Absicherung von Pflegebedürftigkeit konzipiert wurde. Dementsprechend fließen die Beiträge ausschließlich in Leistungen für pflegebedürftige Menschen, sei es durch Sach- oder Geldleistungen. Diese klare Zweckbindung soll sicherstellen, dass die steigenden Kosten der Pflege gedeckt werden, ohne die Versicherten durch zusätzliche Belastungen zu überfordern.
Vor diesem Hintergrund sorgt aktuell der Haushaltentwurf 2026 für große Verunsicherung. Die Bundesregierung plant, für das kommende Jahr lediglich ein zinsfreies Darlehen in Höhe von zwei Milliarden Euro an die Pflegeversicherung zu gewähren und Bundeszuschüsse auszuschließen. Gleichzeitig bleiben ausstehende Rückzahlungen aus einem Ausgleichsfonds von 5,2 Milliarden Euro offen, die während der Corona-Pandemie zum Teil für gesamtgesellschaftliche Maßnahmen verwendet wurden. Diese Verzögerung wird vom Sozialverband VdK scharf kritisiert. Dessen Präsidentin Verena Bentele warnt, dass der Bund damit seine Schulden bei den Pflegekassen nicht begleichen will und die chronische Unterfinanzierung der Pflegeversicherung dadurch verschärft wird.
Warum ist die Zweckbindung von Sozialbeiträgen so umstritten?
Die Zweckbindung in der Sozialversicherung ist ein verfassungsrechtlich geschütztes Prinzip. Das Grundgesetz fordert mit dem Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG), dass Belastungen gerecht und entsprechend der Verursachung gerecht verteilt werden. Beitragsgelder, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zweckgebunden für die Pflegeversicherung eingezahlt werden, dürfen daher nicht für andere staatliche Ausgaben umgeleitet werden. Ein Zugriff auf diese Mittel zur Finanzierung allgemeiner Staatsausgaben widerspricht diesem Grundsatz und wird daher als verfassungswidrige Zweckentfremdung angesehen.
Solche Konflikte sind kein neues Phänomen. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen, wenn Haushaltsnotlagen oder außergewöhnliche Situationen – wie etwa in der Corona-Pandemie oder bei ökonomischen Krisen – die Bundesregierung dazu veranlassten, Sozialversicherungsbeiträge vorübergehend anders zu verwenden. Diese Eingriffe stehen dabei stets auf dem Prüfstand politischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Diskussionen, weil sie das Solidarsystem gefährden können.
Wissenschaftliche Gutachten, etwa von Prof. Dr. Dagmar Felix von der Universität Hamburg, bestätigen, dass eine dauerhafte Umleitung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht zulässig ist. Beitragszahler könnten daher als rechtliche Folge Musterklagen vor Sozialgerichten anstreben, um ihre Rechte durchzusetzen. So gibt es derzeit konkrete Prüfungen von Musterklagen durch den VdK, um die Bundesregierung zu einer Rückzahlung der offenen Beträge zu bewegen.
Was droht Versicherten und Pflegebedürftigen jetzt?
Für die Versicherten und Pflegebedürftigen ergeben sich daraus mehrere Risiken, die über die aktuelle Debatte hinausgehen:
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Zunehmende Beitragsbelastung: Ohne auskömmliche Finanzierung der Pflegeversicherung droht, dass die Beitragssätze massiv steigen müssen, um die Kosten der Pflege zu decken.
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Leistungskürzungen oder Einschnitte: Sollte die Pflegeversicherung nicht ausreichend Geld zur Verfügung haben, könnten Leistungen eingeschränkt oder weniger breit verfügbar werden – ein Risiko für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen.
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Weniger Planungssicherheit: Die Unsicherheit über die tatsächliche Finanzlage schwächt das Vertrauen der Versicherten in das Solidarprinzip und erschwert die langfristige Vorsorge.
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Rechtliche Auseinandersetzungen: Klagen und gerichtliche Prüfungen können den Gesetzgebungsprozess verzögern und politischen Druck erhöhen, was zu kurzfristigen Lösungen führt, die eventuell nicht nachhaltig sind.
Neben diesen unmittelbaren Folgen für die Betroffenen hat der Konflikt auch weiterreichende gesellschaftliche Bedeutung. Das Spannungsfeld zwischen steuerfinanzierten Leistungen und beitragsfinanzierten Ansprüchen steht exemplarisch für die generelle Herausforderung eines demografischen Wandels. Die Pflegebedürftigkeit in der Bevölkerung steigt, gleichzeitig schrumpft die Zahl der Beitragszahler durch Alterung und Erwerbsstruktur. Politischer Handlungsspielraum und gesellschaftlicher Konsens müssen daher neu austariert werden.
Die politische Debatte könnte sich durch die nun angedrohten Musterklagen zusätzlich verschärfen. Verena Bentele fordert deshalb ausdrücklich: „Die Bundesregierung soll erst einmal ihre Schulden bei den Pflegekassen begleichen.“ Diese Aufforderung verdeutlicht, dass der Schutz des Pflegeversicherungssystems nicht nur finanzielle, sondern auch rechtliche und soziale Aspekte umfasst.
Insgesamt steht die Frage im Raum, wie das deutsche Sozialversicherungssystem seine Stärke aus der klaren Zweckbindung der Beitragsmittel bewahren kann und zugleich flexibel auf gesellschaftliche Herausforderungen reagiert. Die kommenden Monate werden zeigen, ob der Bund seiner Verantwortung gerecht wird und wie die Schnittstellen von Sozialpolitik, Recht und gesellschaftlichem Zusammenhalt künftig gestaltet werden.
Die Informationen und Zitate in diesem Beitrag basieren auf einer Pressemitteilung des Sozialverbands VdK Deutschland.


1 Antwort
Sehr informativ und hilfreich! Herzlichen Dank!