Pflegebedürftigkeit wächst – Modernisierung der Begutachtung gefordert
Der Medizinische Dienst hat mit dem ersten „Report Pflegebedürftigkeit“ die aktuelle Versorgungssituation in Deutschland dargestellt und eine deutliche Entwicklung aufgezeigt: Seit 2014 hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen auf 5,6 Millionen Menschen verdoppelt, Tendenz weiter steigend. Parallel dazu hat auch die Anzahl der Pflegebegutachtungen auf über 3 Millionen zugenommen. Vor diesem Hintergrund mahnt der Medizinische Dienst dringend eine Modernisierung der Pflegebegutachtung an, um den Versicherten auch künftig einen zeitnahen und bedarfsgerechten Zugang zur Pflege zu ermöglichen.
Carola Engler, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, betont: „Das Thema Pflege ist endlich auf der Agenda angekommen. Neben der finanziellen Stabilisierung der Pflegeversicherung brauchen wir nachhaltige Reformen. Die Modernisierung der Pflegebegutachtung hin zu einem initialen Fallmanagement wäre der entscheidende Schritt, damit sie einen Beitrag zur bedarfsgerechten Versorgungsplanung der Pflegebedürftigen leisten kann.“ Gerade bei der Erstbegutachtung sei es wichtig, die Weichen so zu stellen, „dass die Pflegesituation stabilisiert und bedarfsgerecht ausgestaltet werden kann“, ergänzt Dr. Tatjana Hardes vom Medizinischen Dienst Westfalen-Lippe.
Die meisten Pflegebedürftigen, knapp 90 Prozent, leben in ihrem eigenen Zuhause. Von ihnen organisieren mehr als die Hälfte die Versorgung ohne professionelle Hilfe. Engler erklärt: „Die Pflegebegutachtung sollte sich auf diese Pflegesituationen fokussieren, um im Zusammenwirken mit Pflegekassen, Kommunen und weiteren Akteuren, die Pflegebedürftigen und die pflegenden Angehörigen besser unterstützen und entlasten zu können.“ Die Gutachterinnen und Gutachter des Medizinischen Dienstes sind dabei oft die ersten professionellen Fachkräfte, mit denen die Pflegehaushalte in Kontakt kommen. Deshalb ist deren pflegefachliche Kompetenz entscheidend. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, unterstreicht: „Die Pflegebegutachtung benötigt Vertrauen und muss weiterhin unabhängig, neutral, verlässlich und qualitätsgesichert erfolgen.“
Die Qualität der Versorgung in Pflegeheimen wird insgesamt als zufriedenstellend beurteilt. Verbesserungen zeigen sich etwa bei der Unterstützung in der Eingewöhnungsphase sowie bei der Tagesstrukturierung, Beschäftigung und Kommunikation. Allerdings bestehen Defizite in der Behandlungspflege, beispielsweise bei der Wundversorgung und im Umgang mit herausforderndem Verhalten. Diese Ergebnisse verdeutlichen den Bedarf, auch die Qualitätsprüfungen weiterzuentwickeln und gezielte Beratungen für Pflegeeinrichtungen auszubauen.
Der „Report Pflegebedürftigkeit“ macht deutlich, dass der Ausbau nachhaltiger Strukturen und die Vernetzung im Pflegesystem unerlässlich sind, um Versorgungslücken zu schließen und pflegebedürftige Menschen sowie ihre Angehörigen besser zu unterstützen.
Pflegenotstand und steigender Bedarf: Warum Vernetzung und Modernisierung jetzt entscheidend sind
Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland hat sich seit 2014 auf über 5,6 Millionen Menschen verdoppelt – mit weiter steigender Tendenz. Diese Entwicklung stellt das Sozialsystem, Angehörige und die Pflegeinfrastruktur vor enorme Herausforderungen. Ursache ist vor allem der demografische Wandel: Die Gesellschaft wird älter, und die Zahl der Menschen mit körperlichen, kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen wächst stetig. Gleichzeitig hat die Reform der Pflegebegutachtung von 2017 die Kriterien zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit erweitert, sodass nun auch psychische und psychiatrische Einschränkungen besser berücksichtigt werden.
Die Verdopplung der Pflegebedürftigen bedeutet, dass sich immer mehr Menschen auf Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags verlassen müssen. Dabei leben knapp 90 Prozent der Pflegebedürftigen in den eigenen vier Wänden, rund die Hälfte davon wird von Angehörigen versorgt, meist ohne professionelle Unterstützung. Das hat weitreichende Auswirkungen:
- Pflegende Angehörige stehen zunehmend unter Belastung, da sie oft rund um die Uhr helfen und gleichzeitig private sowie berufliche Verpflichtungen managen müssen.
- Die regionale Versorgungssituation variiert stark. In ländlichen Gebieten fehlen häufig professionell geschulte Pflegekräfte und passende Versorgungsangebote.
- Für das Sozialsystem bedeutet die wachsende Zahl Pflegebedürftiger steigende Ausgaben und einen erhöhten Koordinationsbedarf.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Pflegebegutachtung eine zentrale Bedeutung. Sie ist der Schlüssel zur bedarfsgerechten Versorgung: Sie entscheidet darüber, welcher Pflegegrad einer Person zugeteilt wird und welche Leistungen sie erhält. Doch das aktuelle System zeigt Grenzen. Viele Antragstellende treten erst dann an die Pflegeversicherung heran, wenn bereits erhebliche Beeinträchtigungen vorliegen. Die Begutachtung muss sich daher stärker auf diejenigen konzentrieren, die zu Hause ohne professionelle Hilfe versorgt werden – um frühzeitig passende Unterstützungsmaßnahmen zu ermöglichen.
Moderne Pflegebegutachtung als Chance für bessere Versorgung
Eine Modernisierung der Pflegebegutachtung hin zu einem initialen Fallmanagement wird deshalb diskutiert und als notwendig erachtet. Das bedeutet: Die Begutachtung soll künftig nicht nur den Pflegegrad feststellen, sondern umfassender beraten und begleiten. So könnten Pflegebedürftige und ihre Familien besser unterstützt werden – zum Beispiel durch Empfehlungen zu Hilfsmitteln oder therapeutischen Maßnahmen, die die Selbstständigkeit erhalten. Laut Medizinischem Dienst erhalten bei Erstbegutachtungen fast zwei Drittel der Pflegebedürftigen entsprechende Empfehlungen.
Die Einführung digitaler Vernetzung zwischen Pflegekassen, medizinischen Diensten, Kommunen und anderen Akteuren spielt dabei eine Schlüsselrolle: Sie ermöglicht schnelleren Informationsaustausch, eine koordinierte Versorgungsplanung und eine passgenaue Unterstützung vor Ort. Gerade angesichts der steigenden Pflegebedürftigkeit und der knappen Ressourcen kann Vernetzung helfen, Prozesse zu entlasten und Effizienzgewinne zu schaffen.
Demografischer Wandel und Pflegelücke
Der demografische Wandel führt zu einer deutlichen Ausweitung des Pflegebedarfs. Immer mehr Menschen haben Pflegegrad 2 oder höher und benötigen verschiedene Leistungen. Die Pflegelücke – also die Differenz zwischen benötigten und verfügbaren Pflegeleistungen – wächst vor allem in Regionen mit Fachkräftemangel oder wenig Infrastruktur. In diesen Bereichen ist das Risiko groß, dass Pflegebedürftige nicht zeitnah oder bedarfsgerecht versorgt werden.
Chancen und Risiken moderner Pflegebegutachtung
Der Übergang zu einem fallorientierten und digital unterstützten Begutachtungssystem birgt Chancen, aber auch Herausforderungen:
- Chance: Frühere und umfassendere Begleitung kann die Versorgungsqualität verbessern und Pflegesituationen stabilisieren.
- Risiko: Die Digitalisierung erfordert technische Infrastruktur und Datenschutzkonzepte; zudem muss die Unabhängigkeit und Neutralität der Begutachtung gewahrt bleiben.
Aktuelle Reformansätze und mögliche Lösungen umfassen:
- Einführung eines digitalen Fallmanagements zur Steuerung und Koordination der Pflegeleistungen.
- Engere Vernetzung der beteiligten Akteure auf kommunaler und regionaler Ebene.
- Ausbau unterstützender Angebote für pflegende Angehörige, etwa durch Beratung und Entlastungsleistungen.
- Nutzung moderner Technologien wie Telemedizin und digitale Monitoring-Systeme zur Überwachung und Unterstützung.
Dass Reformen notwendig sind, zeigt die steigende Zahl der Pflegebegutachtungen von über 3 Millionen jährlich. Carola Engler, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund, betont: „Die Modernisierung der Pflegebegutachtung hin zu einem initialen Fallmanagement wäre der entscheidende Schritt, damit sie einen Beitrag zur bedarfsgerechten Versorgungsplanung der Pflegebedürftigen leisten kann.“
Die Verknüpfung von Digitalisierung, professionellem Fallmanagement und regionaler Versorgungsausrichtung ist deshalb ein zentraler Hebel, um den Pflegenotstand in den Griff zu bekommen – zum Wohle der Pflegebedürftigen und der gesamten Gesellschaft.
Blick nach vorn: Die Zukunft der Pflege in Deutschland
Die Pflege in Deutschland steht vor bedeutenden Herausforderungen, die zunehmend an Dringlichkeit gewinnen. Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erhöht und wird weiter steigen. Um diesem Trend gerecht zu werden, sind umfassende Veränderungen im Pflegesystem unverzichtbar. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Stabilität, sondern vor allem um nachhaltige Reformen, die die Versorgung bedarfsgerecht und zukunftsfähig gestalten.
Der Medizinische Dienst betont die Notwendigkeit einer Modernisierung der Pflegebegutachtung, die künftig als initiales Fallmanagement die Grundlage für eine bessere Versorgungsplanung bildet. Dies ist besonders wichtig, da knapp 90 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause leben und viele von ihnen von Angehörigen ohne professionelle Unterstützung betreut werden. Die Pflegebegutachtung muss diesen Alltag stärker in den Fokus nehmen und eng mit Pflegekassen, Kommunen und weiteren Akteuren zusammenarbeiten, um die Betroffenen gezielt zu entlasten und zu unterstützen.
Gemeinsames Handeln ist dabei der Schlüssel. Um die wachsenden Anforderungen zu bewältigen, braucht es nicht nur klassische Reformen, sondern auch innovative Ansätze, die die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen erhalten und die Qualität der Versorgung kontinuierlich verbessern. Der Medizinische Dienst verweist darauf, dass die Pflegebegutachtung mit hoher pflegefachlicher Kompetenz und verlässlicher Qualität den Versicherten wichtige Empfehlungen geben kann – etwa zur Heil- oder Hilfsmittelversorgung.
Die Zukunft der Pflege verlangt zudem eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit aller Beteiligten. Nur so können die vielfältigen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen angemessen berücksichtigt und Lösungen gefunden werden, die dauerhaft tragfähig sind.
Diese Perspektive spiegelt die in der offiziellen Pressemitteilung des Medizinischen Dienstes Bund vom 12. Juni 2025 formulierten Forderungen und Einschätzungen wider. Gemeinsam kann es gelingen, ein modernes Pflegesystem zu gestalten, das den Zeitpunkt des Bedarfs erkennt, passgenau unterstützt und die Lebensqualität der Betroffenen verbessert.
9 Antworten
‚Die Qualität in Pflegeheimen ist zufriedenstellend‘, aber woher wissen wir das wirklich? Ich würde gerne mehr über die Qualitätsprüfungen erfahren.
‚Unabhängigkeit und Neutralität‘ sind wichtig. Wie werden diese Prinzipien in den Prüfungen gewahrt?
‚Telemedizin und digitale Systeme‘ klingen gut! Wer kann uns mehr darüber erzählen?
‚Das Thema Pflege ist endlich auf der Agenda angekommen‘, sagt Engler. Aber was passiert, wenn nichts unternommen wird? Wir brauchen Lösungen jetzt!
Die Verdopplung der Pflegebedürftigen zeigt klar, dass wir dringend handeln müssen. Die Unterstützung für Angehörige ist entscheidend. Welche konkreten Reformen werden vorgeschlagen?
Ich stimme zu! Eine stärkere finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige wäre nötig, um ihre Belastung zu verringern.
Ja genau! Mehr Informationen für Familien über die verfügbaren Hilfsmittel könnten auch helfen!
Ich finde den Ansatz der Modernisierung der Pflegebegutachtung sehr wichtig. Es ist erstaunlich, wie viele Menschen in Deutschland Pflege brauchen. Wie wird sichergestellt, dass die Begutachtungen fair und transparent sind?
Das ist ein guter Punkt! Ich frage mich auch, ob die Schulung der Gutachter ausreichend ist, um alle Bedürfnisse der Pflegebedürftigen zu erkennen.