BVMed warnt: Neue Produkthaftungsregeln gefährden deutsche MedTech-Branche und KMU

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) warnt vor erheblichen Risiken für die deutschen MedTech-Hersteller durch den geplanten Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Produkthaftungsrechts. Kritisiert werden insbesondere die Ausweitung der Haftung auf Software und digitale Dienste sowie geplante Beweiserleichterungen, die zu faktischen Beweislastumkehrungen führen könnten. Der Verband fordert eine engere Auslegung der Vermutungsregeln und strengeren Geheimnisschutz, um die Wettbewerbsfähigkeit der stark von KMU geprägten Branche nicht zu gefährden.
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Inhaltsübersicht

– BVMed warnt vor verschärften Haftungsbedingungen für MedTech-Hersteller.
– Geplante Beweiserleichterungen könnten zu faktischer Beweislastumkehr führen.
– Neue Offenlegungspflichten gefährden Geschäftsgeheimnisse und Rechtssicherheit.

Produkthaftungsrecht: BVMed warnt vor Gefahr für MedTech-Standort Deutschland

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) warnt in seiner aktuellen Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Produkthaftungsrechts vor erheblichen Risiken für die Rechtssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen MedTech-Branche. Der Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Umsetzung der EU-Produkthaftungsrichtlinie sieht eine Ausweitung der Haftung auf Software, digitale Konstruktionsunterlagen und verbundene Dienste vor sowie Beweiserleichterungen, die laut BVMed das Risiko einer faktischen Beweislastumkehr bergen.

„Die geplanten Regelungen gefährden die sorgfältig austarierte Balance zwischen Verbraucherschutz und Herstellerverantwortung“*, kritisiert BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Dr. Marc-Pierre Möll. „Um unseren starken MedTech-Standort Deutschland zu bewahren, benötigen wir eine engere Auslegung der Vermutungsnormen, einen strikten Geheimnisschutz und ein effizientes Verfahrensmanagement“*.

Die geplanten Offenlegungspflichten für Beweismittel bewertet der Verband ebenfalls kritisch. „Damit werden Geschäftsgeheimnisse gefährdet und die Waffengleichheit in Gerichtsverfahren verletzt“*, warnt BVMed-Rechtsexpertin Dr. Katja Marx. Besonders problematisch sei die Kombination aus erleichterter Beweisführung und neuen Klagemöglichkeiten nach dem Verbraucherrechte-Durchsetzungsgesetz, die eine Zunahme von Massen- und Verbandsklagen begünstigen könnte. „Für KMU kann das existenzbedrohend sein“*, so der BVMed.

Die wirtschaftliche Bedeutung der betroffenen Branche unterstreicht die Dringlichkeit der Warnung: Die Medizintechnik-Branche beschäftigte im Jahr 2024 laut Gesundheitswirtschaftlicher Gesamtrechnung des WifOR-Instituts in Deutschland insgesamt 212.100 Menschen und erwirtschaftete eine Bruttowertschöpfung von 19,7 Milliarden Euro (Stand: 2024). Nach der Wirtschaftsstatistik gab es 2024 in Deutschland 1.510 Medizintechnik-Hersteller mit mehr als 20 Beschäftigten, die einen Gesamtumsatz von über 41 Milliarden Euro erzielten (55 Milliarden Euro mit Kleinstunternehmen; Stand: 2024). 68 Prozent des Medizintechnik-Umsatzes stammen aus dem Auslandsgeschäft, rund 9 Prozent des Umsatzes werden in Forschung und Entwicklung investiert. Besonders relevant: 93 Prozent der Unternehmen sind KMU (Stand: 2024).

„Wir müssen durch klare rechtliche Rahmenbedingungen sicherstellen, dass die Innovationsstärke und Wettbewerbsfähigkeit der KMU-geprägten MedTech-Branche nicht gefährdet wird. Denn das würde nicht nur Unternehmen treffen, sondern letztlich Patient:innen, die von sicheren und modernen MedTech-Lösungen profitieren“*, betont Möll abschließend.

Rechtlicher Rahmen: Von der EU-Richtlinie zum deutschen Entwurf

Die Änderungen im Produkthaftungsrecht folgen einem mehrstufigen legislativen Prozess, der auf europäischer Ebene beginnt und in nationales Recht mündet. Den Ausgangspunkt bildet die EU-Produkthaftungsrichtlinie, die im Jahr 2024 beschlossen wurde. Diese Richtlinie erweitert den Haftungsrahmen, indem sie erstmals explizit Software, KI-Systeme und digitale Dienstleistungen einbezieht.

EU-Recht vs. nationales Umsetzungsprojekt

Während EU-Richtlinien verbindliche Ziele vorgeben, bleibt den Mitgliedstaaten die konkrete Ausgestaltung der nationalen Umsetzung überlassen. Der deutsche Referentenentwurf vom Januar 2025 reagiert auf diese Vorgaben mit spezifischen Regelungen zur Haftung für verbundene digitale Dienste (Quelle: RSW Beck). Die zeitliche Abfolge zeigt den legislativen Weg deutlich:

Jahr Ereignis Relevanter Punkt Quelle/Stand
April 2024 Veröffentlichung der Richtlinie Richtlinie (EU) 2024/2853 EUR-Lex
2024 Beschluss der Richtlinie
Januar 2025 Deutscher Referentenentwurf Umsetzung nationales Recht RSW Beck

Diese Entwicklung von der europäischen zur nationalen Ebene unterstreicht die wachsende Bedeutung digitaler Produkte in der Haftungsfrage. Während die EU-Richtlinie den Rahmen setzt, bestimmt die nationale Umsetzung, wie diese Vorgaben in der deutschen Rechtspraxis konkret angewendet werden.

Fakten & Zahlen: Belastung für KMU

Die Struktur der deutschen Medizintechnik-Branche zeigt ein klares Bild: Ein Großteil der Unternehmen zählt zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).

KMU-Anteil und Haftungsfälle

Zwischen 2018 und 2023 wurden in Deutschland jährlich 18 bis 27 Produkthaftungsfälle gegen Hersteller von Medizinprodukten gemeldet, was die Relevanz von Haftungsrisiken unterstreicht.

Rechtsexperten weisen darauf hin, dass sich mit Geltung der Produkthaftungsrichtlinie 2024 das Risiko für Hersteller von Software und digitalen Services im Medizintechnikbereich deutlich erhöht – inklusive verschärfter Haftung und neuen Nachweispflichten. Eine aktuelle juristische Einschätzung vom Januar 2025 bestätigt: Für KMU im MedTech-Sektor bedeutet die Produkthaftungsrichtlinie 2024 höhere Anforderungen an Dokumentation und Nachweispflichten, was erhebliche Mehrbelastungen und Innovationshemmnisse verursachen kann.

Die Kombination aus KMU-dominiertem Markt und verschärften Haftungsregeln birgt konkrete operative Folgen:

  • Höhere Dokumentationskosten durch erweiterte Nachweispflichten
  • Erhöhte Prozessrisiken durch Beweiserleichterungen für Kläger
  • Innovationshemmung bei digitalen Produkten durch gestiegene Haftungsrisiken

Diese Faktoren treffen insbesondere jene Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen Medizintechnik bilden und für deren Innovationsfähigkeit entscheidend sind.

Gesellschaftliche Relevanz und Kontroversen

Die Debatte um die Modernisierung des Produkthaftungsrechts spiegelt einen grundlegenden Interessenkonflikt wider: Auf der einen Seite steht der berechtigte Anspruch auf umfassenden Verbraucherschutz, auf der anderen die Sorge um innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für Unternehmen. Dieser Zielkonflikt zeigt sich besonders deutlich in der Medizintechnik-Branche, wo es um patientensichere und zugleich technologisch fortschrittliche Lösungen geht.

Verbraucherschutz vs. Innovationsschutz

Verbraucherverbände setzen sich für Beweiserleichterungen ein, die Geschädigten den Nachweis von Produktfehlern erleichtern sollen. Demgegenüber warnen Unternehmensvertreter vor einer De-facto-Beweislastumkehr, die bereits dann eintreten könnte, wenn kein Produktfehler tatsächlich nachgewiesen ist (Quelle: twobirds.com). Diese konträren Positionen verdeutlichen die Spannung zwischen zwei legitimen Anliegen: dem Schutz der Verbraucher vor fehlerhaften Produkten und dem Erhalt der Innovationsfähigkeit von Unternehmen.

Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie, beschlossen im Dezember 2024 und seit 2025 in Kraft, dehnt die Haftung explizit auf Software, KI-Systeme und digitale Dienste aus (Quelle: Ecovis). Damit sind erstmals sämtliche digitale Anwendungen in der Medizintechnik von den verschärften Haftungsregeln betroffen. Diese Ausweitung betrifft eine Branche, die 2024 in Deutschland insgesamt 212.100 Menschen beschäftigte und eine Bruttowertschöpfung von 19,7 Milliarden Euro erwirtschaftete.

Die realen Folgen stärkerer Beweiserleichterungen könnten weitreichend sein: Einerseits würden Geschädigte tatsächlich bessere Möglichkeiten erhalten, Schadensersatz durchzusetzen. Andererseits droht eine Zunahme der Anzahl und Komplexität von Produkthaftungsfällen, wie der BVMed in seiner Stellungnahme warnt. Besonders kritisch sehen Experten die geplanten Offenlegungspflichten für Beweismittel, die sensible Unternehmensinformationen und Geschäftsgeheimnisse betreffen könnten.

Für kleine und mittlere Unternehmen, die 93 Prozent der Medizintechnik-Hersteller ausmachen, könnten diese Entwicklungen existenzbedrohende Dimensionen annehmen. Gleichzeitig profitieren Patientinnen und Patienten von einer Branche, die rund 9 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung investiert und deren Auslandsanteil 68 Prozent beträgt. Die Herausforderung besteht darin, einen Ausgleich zu finden, der sowohl Verbraucherinteressen als auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Blick behält.

Ausblick: Was jetzt zu erwarten ist

Die Weichen für die Modernisierung des Produkthaftungsrechts sind gestellt: Die EU-Richtlinie gilt bereits seit 2025, und der deutsche Referentenentwurf vom Januar 2025 setzt die erweiterten Regeln nun in nationales Recht um. Damit beginnt die entscheidende Phase der parlamentarischen Beratungen, die für Unternehmen und Verbraucher gleichermaßen richtungsweisend sein wird.

Im weiteren Gesetzgebungsprozess sind mehrere Stationen zu beachten. Nach der Ressortabstimmung folgen die Beratungen in den Bundestagsausschüssen, wo Fachpolitiker den Entwurf detailliert prüfen werden. Besonders die Anhörungen von Sachverständigen bieten Verbänden und Interessengruppen die Möglichkeit, Änderungsvorschläge einzubringen. Der BVMed hat bereits in seiner Stellungnahme konkrete Forderungen formuliert (siehe Kapitel 1), die insbesondere KMU vor übermäßigen Haftungsrisiken schützen sollen.

Für Unternehmen bedeutet der laufende Prozess erhöhte Aufmerksamkeit. Die geplanten Beweiserleichterungen und erweiterten Offenlegungspflichten könnten nach Einschätzung von Rechtsexperten zu einer faktischen Beweislastumkehr führen. „Vage formulierte Vermutungsregelungen könnten dazu führen, dass Hersteller haftbar gemacht werden, ohne dass ein Produktfehler tatsächlich nachgewiesen ist“, warnt BVMed-Rechtsexpertin Dr. Katja Marx. Besonders kritisch sehen Branchenvertreter die mögliche Gefährdung von Geschäftsgeheimnissen durch die geplanten Offenlegungspflichten.

Patienten und Verbraucher profitieren zwar grundsätzlich von stärkeren Rechten, müssen jedoch mögliche Nebenwirkungen im Blick behalten. Sollten die Haftungsrisiken für MedTech-Unternehmen tatsächlich zu stark steigen, könnte dies langfristig Innovationen bremsen und die Versorgung mit medizintechnischen Lösungen beeinträchtigen.

Journalisten sollten den weiteren Prozess intensiv begleiten und dabei verschiedene Perspektiven einbeziehen. Nachfragen bei Verbraucherverbänden, KMU-Vertretern und dem Bundesjustizministerium können unterschiedliche Standpunkte transparent machen. Interviews mit Rechtsexperten zu konkreten Verfahrensfragen – etwa zur Beweislast, Offenlegung von Informationen oder dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen – würden die komplexe Materie für Leser verständlicher aufbereiten.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob der Gesetzgeber die von Branchenvertretern geforderte Balance zwischen Verbraucherschutz und Innovationsförderung tatsächlich findet.

Die nachfolgenden Informationen beruhen auf einer Pressemitteilung des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed).

Weiterführende Quellen:

13 Antworten

  1. Die Veränderungen im Produkthaftungsrecht sind besorgniserregend und könnten unsere starke MedTech-Branche ernsthaft gefährden! Ich hoffe auf ein konstruktives Gespräch zwischen allen Akteuren.

  2. Ich stimme zu, dass mehr Transparenz nötig ist, aber nicht auf Kosten der Geschäftsgeheimnisse! Was haltet ihr von den Vorschlägen des BVMed? Gibt es noch Alternativen?

  3. Die Erhöhung der Haftungsrisiken kann für viele kleine Unternehmen existenzbedrohend sein! Wie können wir sicherstellen, dass diese Unternehmen weiterhin innovativ bleiben können?

    1. Eine interessante Idee! Es wäre hilfreich zu wissen, wie andere Länder mit ähnlichen Herausforderungen umgegangen sind.

  4. Der Artikel thematisiert ein wichtiges Problem für die Medizintechnikbranche. Die Balance zwischen Verbraucherschutz und Herstellerverantwortung ist entscheidend! Was denkt ihr über mögliche Lösungen?

    1. Ich glaube, dass wir hier einen klaren rechtlichen Rahmen brauchen, um sowohl Verbraucher zu schützen als auch Innovationen nicht zu hemmen.

  5. Ich finde die Warnung von BVMed sehr wichtig. Wenn die Haftungsbedingungen strenger werden, könnte das viele MedTech-Unternehmen in Deutschland schädigen. Wie sieht es aus mit der Unterstützung für KMUs?

    1. Ja, das ist wirklich eine beunruhigende Entwicklung. Ich frage mich, wie sich diese Änderungen konkret auf die Innovationskraft der Unternehmen auswirken werden.

    2. Ich bin auch besorgt über die neuen Offenlegungspflichten. Das könnte die Wettbewerbsfähigkeit gefährden und Geschäftsgeheimnisse in Gefahr bringen.

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