Psychotherapeuten-Protest: IQTiG-Qualitätssicherung in NRW sorgt für massive Bürokratie-Kritik

Psychotherapeut:innen in Nordrhein-Westfalen kritisieren das neue Qualitätssicherungsverfahren für ambulante Psychotherapie als bürokratisch und ineffektiv. Sie bemängeln, dass wertvolle Behandlungszeit für zusätzliche Dokumentation verloren geht, während die erhobenen Daten die Therapiequalität weder abbilden noch verbessern können. Führende Berufsverbände fordern daher die Aussetzung des Modellprojekts und seine Streichung aus dem Sozialgesetzbuch.
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Inhaltsübersicht

– Psychotherapeuten kritisieren geplantes Qualitätssicherungsverfahren als bürokratisch.
– Verfahren erzeugt irrelevante Daten ohne Nutzen für die Behandlungsqualität.
– Berufsverbände fordern Aussetzung des Modellprojekts in Nordrhein-Westfalen.

Psychotherapeuten kritisieren Bürokratie-Monster

Das geplante Qualitätssicherungsverfahren in der ambulanten Psychotherapie entwickelt sich zum Bürokratie-Monster. Bei der zweiten Regionalkonferenz des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) in Düsseldorf am 28. Oktober 2025 formierte sich deutlicher Widerstand gegen das Modellprojekt.

Die Stimmung war geprägt von wachsendem Unmut, den viele Teilnehmende durch T-Shirts mit Slogans wie „Qualität ja bitte! Datenmüll nein Danke!“, „Therapie statt Bürokratie!“ oder „Behandeln statt verwalten!“ zum Ausdruck brachten.*

Die unterzeichnenden Berufsverbände fordern im Zuge der Bürokratie-Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung, das Modellprojekt „QS in der ambulanten Psychotherapie“ auf den Prüfstand zu stellen, auszusetzen und im SGB V zu streichen. Zu den fordernden Verbänden gehören der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp), die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT), die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT), die Deutsche PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) und der Verband Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VPP im BDP).*

Qualitätssicherung in der Psychotherapie: Von der Konzeption zur Kritik

Das Qualitätssicherungsinstrument für die ambulante Psychotherapie durchlief mehrere Entwicklungsstufen, bevor es auf massive Kritik aus Fachkreisen stieß. Die Pläne sahen erheblichen administrativen Mehraufwand vor – unter anderem durch einen 14-seitigen retrospektiven Patientenfragebogen, obwohl in Praxen bereits etablierte Qualitätssicherungssysteme existieren.*

Bereits mit der Bekanntgabe des Vorhabens äußerte der Berufsverband Deutscher Psychologen Bedenken zum Kosten-Nutzen-Verhältnis. Der Verband verwies auf hohe praktische und finanzielle Belastungen für Praxen sowie potenzielle negative Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung und Versorgungsqualität (Stand: Januar 2024).*

Zeitliche Entwicklung des QS-Projekts

Die Chronologie zeigt eine zunehmende Verstimmung innerhalb der Psychotherapeutenschaft:

  • Januar 2024: Beschluss des QS-Instruments mit geplanter Erprobung in NRW*
  • November 2024: Der 45. Deutsche Psychotherapeutentag fordert die Streichung des gesetzlichen Auftrags, da in NRW jährliche Bürokratiekosten im zweistelligen Millionenbereich entstehen könnten (Quelle: BPTK)*
  • 1. Januar 2025: Start des QS-Verfahrens in NRW, bei dem spezifische Angaben zu Patienten dokumentiert werden, die ambulante Psychotherapie erhalten*

Zentrale Kritikpunkte aus Fachverbänden

Fachkreise bemängeln mehrere grundlegende Probleme des Instruments. Ein zentraler Kritikpunkt betrifft den zeitlichen Verzug: Die Rückmeldungen zur QS-Datenerhebung erreichen die Praxis erst Monate nach Behandlungsabschluss, was den Nutzen der Daten für die Verbesserung einzelner Behandlungen erheblich einschränkt (Quelle: G-BA, Stand: Juli 2024).*

Experten und Fachverbände verweisen darauf, dass zum tatsächlichen Nutzen der zusätzlichen Bürokratie im QS-Verfahren für ambulante Psychotherapie bisher keine empirischen Studien vorliegen (Quelle: Psychotherapeutenjournal, Stand: 2024). Diese fehlende Evidenzbasis stellt aus Sicht der Kritiker die Grundlage des gesamten Verfahrens infrage.*

Die zunehmende Kritik gipfelte in der Forderung mehrerer Berufsverbände, das Modellprojekt auszusetzen und den entsprechenden Paragrafen im Sozialgesetzbuch V zu streichen. Damit positionierte sich die Psychotherapeutenschaft klar gegen ein Instrument, das sie als bürokratisches Monster ohne nachweisbaren Patientennutzen betrachtet.*

Auswirkungen & gesellschaftliche Relevanz

Die geplante Qualitätssicherung in der ambulanten Psychotherapie könnte weitreichende Konsequenzen für das Gesundheitssystem in Nordrhein-Westfalen entfalten. Fachverbände und Experten zeichnen ein Bild, das über rein administrative Hürden hinausgeht und grundlegende Fragen der Versorgungsqualität berührt.

Psychotherapeutische Praxen sehen sich mit zusätzlichen administrativen Aufgaben konfrontiert, die unmittelbar die Behandlungszeit verkürzen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung stuft Verfahren wie die Anforderung externer Konsiliarberichte als bürokratische Mehrbelastung ein (Quelle: KBV). Diese zusätzlichen Dokumentationspflichten binden Ressourcen, die eigentlich der Patientinnenversorgung zugutekommen sollten.

Die finanziellen Folgen könnten erheblich ausfallen: Nach Berechnungen von Fachverbänden bewegen sich die möglichen jährlichen Bürokratiekosten in NRW im zweistelligen Millionenbereich* (Stand: November 2024). Diese Belastungen treffen nicht nur die Praxen, sondern könnten mittelbar auch das Versorgungssystem als Ganzes betreffen.

Besonders kritisch bewerten Experten die potenziellen Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen warnt vor einem fraglichen Kosten-Nutzen-Verhältnis des neuen Qualitätssicherungsinstruments (Stand: Januar 2024). Die Sorge: Wenn administrative Verfahren Vorrang vor der unmittelbaren Therapiearbeit erhalten, könnte dies die vertrauensvolle Beziehung zwischen Therapeutin und Patientin beeinträchtigen.

Die Hauptfolgen für den Praxisbetrieb lassen sich pointiert zusammenfassen:

  • Reduzierung der direkten Behandlungszeit zugunsten administrativer Aufgaben
  • Erhöhter Dokumentationsaufwand ohne nachgewiesenen Qualitätsgewinn
  • Finanzielle Mehrbelastungen, die letztlich das Versorgungssystem treffen
  • Potenzielle Beeinträchtigung der therapeutischen Beziehungsgestaltung

Diese Bedenken gewinnen vor dem Hintergrund besonderes Gewicht, dass bereits etablierte Qualitätssicherungsinstrumente wie Supervisionen, Fallbesprechungen und Qualitätszirkel in den Praxen existieren. Die Diskussion um das neue Verfahren berührt damit grundlegende Fragen: Wie viel Bürokratie verträgt ein sensibles Behandlungsverhältnis? Und wo liegen die Grenzen zwischen Qualitätssicherung und bürokratischer Überregulierung?

Ausblick: Handlungsoptionen und nächste Schritte

Die Diskussion um das QS-Verfahren in der ambulanten Psychotherapie hat mehrere konkrete Lösungswege hervorgebracht. Der 45. Deutsche Psychotherapeutentag forderte die Streichung des gesetzlichen Auftrags für das Qualitätssicherungsverfahren. Diese Position unterstreicht die Dringlichkeit einer grundlegenden Überprüfung.

Drei Hauptoptionen stehen aktuell zur Diskussion:

Erstens könnte das IQTiG oder das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium die Erprobung in NRW aussetzen. Dies würde den beteiligten Psychotherapeuten sofortige Bürokratieentlastung bringen und Raum für eine grundlegende Überarbeitung schaffen.

Zweitens bietet sich eine technische und methodische Nachbesserung an. Das IQTiG als entwickelnde Institution könnte die kritisierten Qualitätsindikatoren überarbeiten und die Datenerfassungssysteme optimieren. Die angekündigte technische Korrektur für 2027 erscheint vielen Beteiligten dabei zu spät.

Drittens fordern Fachverbände unabhängige empirische Studien zur Wirksamkeit des Verfahrens. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als übergeordnetes Gremium könnte hier eine wissenschaftliche Evaluation veranlassen, bevor das Verfahren bundesweit ausgeweitet wird.

Die Chronologie zeigt den Handlungsdruck: Nach dem Beschluss des QS-Instruments im Januar 2024 und der Resolution des Deutschen Psychotherapeutentags läuft seit Anfang 2024 die Erprobung in Nordrhein-Westfalen*. Die anhaltende Kritik der Berufsverbände und die technischen Mängel legen nahe, dass eine grundlegende Überprüfung noch in diesem Jahr notwendig sein wird.

Die hier wiedergegebenen Informationen und Aussagen basieren auf einer Pressemitteilung des Bundesverbands der Vertragspsychotherapeuten (bvvp) sowie weiterer beteiligter Berufsverbände.

Weiterführende Quellen:

8 Antworten

  1. „Behandeln statt verwalten“ – das trifft den Nagel auf den Kopf! Wie viel Zeit geht verloren durch all diesen Kram? Ich hoffe wirklich auf eine schnelle Lösung in dieser Sache.

  2. „Therapie statt Bürokratie“ ist ein guter Slogan! Aber wo bleibt der Nutzen für Patienten? Ich denke viele Kollegen würden zustimmen: Weniger Papierkram wäre besser für alle.

  3. Das geplante Verfahren hat echt mehr Nachteile als Vorteile. Ich frage mich, ob sich jemand die Mühe gemacht hat, die Meinungen von Therapeuten einzuholen? Was denkt ihr über den Einfluss auf die Therapiequalität?

    1. Ich glaube auch, dass das Feedback der Therapeuten wichtig ist! Wenn wir nicht hören, was sie brauchen, wird es immer schwieriger sein, gute Therapien anzubieten.

    2. Absolut richtig! Wir müssen die Stimme der Therapeuten hören! Habt ihr schon mal überlegt, wie man diese Stimme stärker in den Prozess einbringen kann?

  4. Ich finde es erschreckend, wie viel Bürokratie hier geschaffen wird. Warum können wir nicht einfach die bewährten Systeme nutzen? Die Zeit sollte besser für die Patientenversorgung eingesetzt werden. Gibt es wirklich keinen besseren Weg?

    1. Ich stimme zu, Jose! Mehr Bürokratie führt nur zu Frustration. Es wäre gut zu wissen, wie andere Therapeuten darüber denken. Welche Alternativen könnten realistisch sein?

    2. Ja, genau! Die Idee ist gut, aber die Umsetzung scheint total falsch zu sein. Gibt es Beispiele von anderen Ländern, wo Qualitätssicherung ohne so viel Bürokratie funktioniert?

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