Bremen (VBR). Die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland hat sich im ersten Halbjahr 2024 dramatisch verschärft. Die Innungskrankenkassen schlagen Alarm: Bereits jetzt ist abzusehen, dass die Belastungen für Versicherte und Arbeitgeber weiter steigen werden, wenn nicht bald politische Maßnahmen ergriffen werden. In einer eindringlichen Stellungnahme fordert der IKK e.V., die Interessenvertretung der Innungskrankenkassen, eine umgehende Umsetzung der Versprechen aus dem Koalitionsvertrag.
Hans-Jürgen Müller, der Vorstandsvorsitzende des IKK e.V., spricht Klartext: „Das Resümee nach drei Jahren Ampelkoalition ist verheerend. Die Kassen sind leer.“ Müller führt aus, dass bereits Ende 2023 die Annahmen des Schätzerkreises zu optimistisch waren. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz hätte um 0.2 Prozentpunkte höher ausfallen müssen. Aktuell zeigt sich das Defizit der 95 Krankenkassen auf 2,2 Milliarden Euro – ein bedenklicher Zustand, der durch überproportional gestiegene Leistungsausgaben von 7,6 Prozent verursacht wird.
Für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedeutet das eine zukünftige Mehrbelastung von 0,7 Prozentpunkten, was konkret 434,70 Euro pro Jahr ausmacht. „Es ist unangemessen, dass der Bundesgesundheitsminister dies nur mit einem Achselzucken zur Kenntnis nimmt“, kritisiert Müller scharf. Nach seiner Meinung wälzt die Politik gesamtgesellschaftliche Kosten auf die Beitragszahler der GKV ab – ein Zustand, der dringend korrigiert werden muss.
Unterstützung findet diese Sichtweise bei der Bevölkerung, wie eine repräsentative forsa-Umfrage (August 2024) im Auftrag des IKK e.V. belegt. 67 Prozent der Befragten finden, dass Krankenkassenbeiträge ausschließlich zweckgebunden für Leistungen der Krankenkassen verwendet werden sollten. Dieser Zustand sieht Hans Peter Wollseifer, alternierender Vorsitzender des IKK e.V., als untragbar an. Er argumentiert, es fehle den Kassen eine rechtliche Grundlage, um sich gegen Eingriffe in den Gesundheitsfonds zu wehren. „Die Gelder im Gesundheitsfonds sind Beitragsgelder der Versichertengemeinschaft – kein Notgroschen für die Politik!“, betont Wollseifer und fordert, die besondere Rolle der Sozialversicherer als Treuhänder klar herauszustellen.
Kurzfristig fordert der IKK e.V. deshalb die Umsetzung längst versprochener Reformen. Dazu gehören die Dynamisierung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen und die Erhöhung der Beiträge für Bürgergeld-Beziehende. Allein letztere Maßnahme könnte die GKV um neun Milliarden Euro entlasten. Weiterhin müssten die Krankenkassen ihre Steuerungsinstrumente, wie Krankenhausabrechnungsprüfungen oder Budgetierungen, zurück erhalten.
Müller macht deutlich: „Es geht uns nicht darum, mehr Geld ins System zu pumpen, sondern um Belastungsgerechtigkeit und Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates.“ Die breite Unzufriedenheit mit der aktuellen Gesundheitspolitik wird durch die forsa-Umfrage bestätigt, in der 61 Prozent der Teilnehmer ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen. Müller warnt eindringlich, der Vertrauensverlust in die Politik sei ernst zu nehmen. „Die Wahlen in Thüringen und Sachsen sollten die Verantwortlichen endlich aufrütteln.“
Der IKK e.V., gegründet 2008, vertritt als Interessenverband auf Bundesebene die Anliegen von rund 5,1 Millionen Versicherten der Innungskrankenkassen. Zu seinen Mitgliedern zählen unter anderem BIG direkt gesund, IKK classic und IKK Südwest.
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Innungskrankenkassen: Beitragsgelder sind kein Notgroschen für die Politik!
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Hintergrund und Ausblick auf die GKV-Finanzlage: Herausforderungen und notwendige Reformen
Die finanzielle Schieflage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist kein neues Thema, doch die aktuelle Situation verlangt dringende und umfassende Maßnahmen. Historisch betrachtet zeigt sich, dass die finanzielle Belastung der GKV zyklischen Schwankungen unterliegt – ihre Ursachen sind in steigenden Gesundheitsausgaben, demografischem Wandel und politischer Unentschlossenheit zu verorten.
Ein Blick zurück offenbart, dass bereits in den vergangenen Dekaden ähnliche finanzielle Engpässe überwunden wurden, jedoch häufig nur durch kurzfristige Maßnahmen wie Beitragserhöhungen oder eine einmalige Aufstockung des Gesundheitsfonds seitens des Bundes. Langfristig tragfähige Strukturreformen blieben meist aus oder wurden nur halbherzig umgesetzt.
Die zitierten KV-45-Zahlen reflektieren nicht nur ein erhebliches Defizit für das erste Halbjahr 2024, sondern verdeutlichen auch den anhaltenden Trend einer überproportionalen Steigerung der Leistungsausgaben. Hierbei spielen insbesondere die gestiegenen Kosten für Arzneimittel, Krankenhausaufenthalte und ärztliche Leistungen eine Rolle. Zum Teil sind diese Steigerungen auf medizinische Fortschritte und Innovationen zurückzuführen, welche die Versorgung verbessern, andererseits fehlt es jedoch an konsequenten Effizienzsteigerungen im Gesundheitssystem selbst.
Vergleichbare europäische Gesundheitssysteme haben teils einen radikalen Reformansatz gewählt. So setzte etwa das dänische Gesundheitssystem verstärkt auf Digitalisierung und zentralisierte Krankenhausstrukturen, wodurch sowohl die Kosten als auch die Effizienz deutlich beeinflusst werden konnten. Diese Beispiele könnten als Orientierungspunkte für die notwendigen Schritte innerhalb Deutschlands dienen.
In Anbetracht der politischen Situation stehen die Zeichen jedoch keineswegs auf Entspannung. Die Bundesregierung muss handeln, um den Finanzdruck zu mindern und gleichzeitig die Versorgungsqualität zu sichern. Eine wichtige Stellschraube könnte dabei die Anpassung der Beiträge für Bürgergeldbeziehende sein – eine Maßnahme, die laut Experten rund neun Milliarden Euro jährliche Entlastung bringen könnte.
Für eine nachhaltigere Lösung sollten langfristige Strategien nicht ausgeklammert werden: Dazu zählen eine bessere Abstimmung zwischen den Bereichen ambulante und stationäre Versorgung sowie die Reduktion von Bürokratie, die derzeit viele Ressourcen bindet, welche direkt in die Patientenversorgung fließen könnten. Weiterhin ist die Rückgabe verlorener Steuerungsinstrumente an die Krankenkassen essenziell, um Missstände frühzeitig erkennen und effektiv beheben zu können.
Prognosen für die nächsten Jahre lassen darauf schließen, dass ohne einschneidende Reformen der Beitragssatz weiterhin steigen wird, was sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer zunehmend belastet und möglicherweise das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems weiter schwächt.
Eine stabile Finanzierung der GKV ist elementar für das Funktionieren des gesamten Gesundheitswesens in Deutschland. Nur durch entschlossenes Handeln und die Umsetzung lang versprochener Reformen kann die drohende Schieflage abgewendet und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die gesundheitspolitischen Entscheidungsträger wiederhergestellt werden.
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