– IG BAU fordert 15 Prozent mehr Lohn für 500.000 Beschäftigte in der Landwirtschaft
– Erste Tarifverhandlungen finden am 31. Oktober in Kassel statt
– Aktuell verdienen Fachkräfte 15,64 Euro, gefordert werden 18 Euro pro Stunde
IG BAU fordert 15 Prozent mehr Lohn für Landarbeiter
Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) startet mit einer deutlichen Lohnforderung in die anstehenden Tarifverhandlungen für die Landwirtschaft. Die Gewerkschaft verlangt für die bundesweit knapp 500.000 Beschäftigten in der Branche eine Erhöhung des Stundenlohns für ausgebildete Fachkräfte von 15,64 Euro auf exakt 18 Euro – das entspricht einer Steigerung von rund 15 Prozent.
„Auch an den Arbeitnehmerinnen auf den Feldern und in den Ställen ist die steigende Inflation, sind die höheren Mietpreise und die explodierenden Energiekosten nicht spurlos vorübergegangen. Sie brauchen einen deutlich dickeren Geldbeutel, um nicht nur gut über die Runden zu kommen“*, begründet Christian Beck, im IG BAU-Bundesvorstand unter anderem zuständig für die Landwirtschaft, die Forderung.
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft zeigt sich deutlich in den Zahlen: Laut der jüngsten Agrarstrukturerhebung aus dem Jahr 2023 arbeiten von insgesamt knapp 900.000 tätigen Menschen nur noch 45 Prozent als Familienarbeitskräfte, während 55 Prozent Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Im Zehn-Jahres-Vergleich stieg die Zahl der Beschäftigten um 17 Prozent an, während die der Bäuerinnen und Bauern um 21 Prozent sank.
Als weitere Argumente für höhere Löhne nennt Beck die Wertschätzung für die anspruchsvolle Ausbildung und den Fachkräftemangel in der Branche: „Es muss sich buchstäblich auszahlen, in dem Beruf zu arbeiten, wenn man vorher eine lange Ausbildung hinter sich gebracht hat. Und auch in der Landwirtschaft herrscht ein massiver Fachkräftemangel, hier gilt es mit monetären Anreizen gegenzusteuern.“
Der erste Verhandlungstermin zwischen der IG BAU und dem Gesamtverband der Deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA) findet am Freitag, 31. Oktober, in Kassel statt. Verhandelt wird eine Bundesempfehlung, die von den einzelnen Landesverbänden umgesetzt werden soll. Die aktuelle Empfehlung läuft Ende dieses Jahres aus.
Einordnung: Löhne, Markt und Konkurrenz
Die Forderung der IG BAU nach 15 Prozent mehr Lohn für Beschäftigte in der Landwirtschaft lässt sich nur im größeren wirtschaftlichen Kontext verstehen. Drei zentrale Faktoren prägen die aktuelle Diskussion: die internationale Wettbewerbssituation, der anhaltende Arbeitskräfteschwund und vergleichbare Tarifentwicklungen in benachbarten Branchen.
Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Landwirtschaftsbetriebe steht im Fokus der Debatte. Während die Mindestlohnkommission für Deutschland 2024 einen Stundenlohn von 14,60 Euro empfiehlt (Stand: 2023/2024), zeigen europäische Vergleichswerte erhebliche Unterschiede. In Polen liegt der Stundenlohn bei 7,08 Euro, in Spanien bei 8,37 Euro und in Frankreich bei 11,88 Euro (Stand: 2023/2024). Der Deutsche Bauernverband warnt vor den Folgen weiterer Lohnsteigerungen für die Existenzfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe.
Das Arbeitskräfteangebot in der Landwirtschaft hat sich zwischen 2020 und 2023 deutlich verschlechtert. Laut aktuellen Zahlen ging die Zahl der Beschäftigten um 62.000 Personen zurück, was einem Rückgang von etwa 7 Prozent entspricht (Stand: 2023). Dieser kontinuierliche Schwund unterstreicht die Dringlichkeit, den Beruf durch attraktivere Vergütung wieder interessanter zu machen.
Als Tarifreferenz GaLaBau dient die jüngste Entwicklung im Garten- und Landschaftsbau. Dort wurden zum 1. Juli 2023 eine Erhöhung um 5,9 Prozent und zum 1. Juli 2024 eine weitere Steigerung um 3,9 Prozent vereinbart, ergänzt durch einen Inflationsausgleich von 500 Euro (Stand: 2024). Diese branchennahe Entwicklung setzt einen wichtigen Maßstab für die laufenden Verhandlungen in der Landwirtschaft.
Internationale Lohnvergleiche im Überblick
| Land | Stundenlohn (Euro) | Zeitraum | Quelle/Stand |
|---|---|---|---|
| Polen | 7,08 | 2023/2024 | Bauernverband |
| Spanien | 8,37 | 2023/2024 | Bauernverband |
| Frankreich | 11,88 | 2023/2024 | Bauernverband |
| Deutschland (Empfehlung) | 14,60 | 2024 | Mindestlohnkommission |
Die IG BAU argumentiert mit der gestiegenen Inflation, höheren Mietpreisen und explodierenden Energiekosten, die auch an den Arbeitnehmern auf Feldern und in Ställen nicht spurlos vorübergegangen seien. Gleichzeitig verweist die Gewerkschaft auf den massiven Fachkräftemangel in der Landwirtschaft, der monetäre Anreize erforderlich mache. Die Gegenposition der Arbeitgeber betont dagegen die wirtschaftlichen Belastungsgrenzen der Betriebe im internationalen Vergleich.
Fachkräfte und Strukturwandel: Die doppelte Herausforderung für die Landwirtschaft
Die aktuellen Tarifforderungen der IG BAU verdeutlichen nicht nur die akute Einkommenssituation der Beschäftigten, sondern verweisen auf tieferliegende strukturelle Probleme. Während die Gewerkschaft mit Christian Beck betont: „Auch in der Landwirtschaft herrscht ein massiver Fachkräftemangel, hier gilt es mit monetären Anreizen gegenzusteuern“, zeigt sich hier nur die Spitze des Eisbergs. Der Agrarsektor durchläuft einen tiefgreifenden Wandel, der sowohl die betrieblichen Strukturen als auch die Qualifikationsanforderungen fundamental verändert.
Fachkräftemangel und Ausbildung
Die Entwicklung der Qualifizierungszahlen zeichnet ein klares Bild: Während die Zahl der Ausbildungsverträge im Beruf Landwirt/in von 43.000 im Jahr 2007 auf 32.000 im Jahr 2019 sank, stieg parallel die Zahl der Studierenden im Agrarbereich von 10.000 auf 17.000 im selben Zeitraum (Stand: 2019). Diese gegenläufige Entwicklung signalisiert nicht nur einen Rückgang des traditionellen landwirtschaftlichen Nachwuchses, sondern auch eine Verlagerung hin zu höheren Qualifikationsanforderungen. Die Nachwuchsgewinnung steht damit vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits fehlen die grundständigen Fachkräfte, andererseits steigt der Bedarf an akademisch qualifiziertem Personal.
Die Arbeitsrealität in der Landwirtschaft hat sich dramatisch gewandelt. Wie Christian Beck hervorhebt, müssen Beschäftigte heute „sich mit moderner digitaler Technik genauso auskennen wie mit anspruchsvollen Umwelt- und Hygienestandards“. Diese gestiegenen Anforderungen bei gleichzeitigem Nachwuchsmangel verschärfen den Fachkräftemangel und erhöhen den Druck auf die verbleibenden Arbeitskräfte.
Strukturwandel und Kostendruck
Die Branchenanalyse (Stand: 2024) bestätigt einen klaren Trend: Die Landwirtschaft wird zunehmend von großen, kapitalintensiven Betrieben mit moderner Technik dominiert. Als wesentliche Ursachen hierfür gelten der Fachkräftemangel und der steigende Kostendruck. Dieser Strukturwandel hat weitreichende Konsequenzen für Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen.
Für die Betriebe bedeutet dies einen wachsenden Investitions- und Personaldruck. Die notwendige Technisierung erfordert erhebliche Kapitalbindung, während gleichzeitig qualifizierte Arbeitskräfte knapper und teurer werden. Für die Beschäftigten wiederum verändern sich die Arbeitsbedingungen und Qualifikationsanforderungen grundlegend. Die zunehmende Technisierung erfordert spezialisierte Kenntnisse, während der Kostendruck die Lohnentwicklung beeinflusst.
Der Strukturwandel zeigt sich auch in der veränderten Beschäftigtenstruktur: Nur noch 45 Prozent der in der Landwirtschaft Tätigen sind Familienarbeitskräfte, während 55 Prozent als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sind. Diese Entwicklung unterstreicht die Professionalisierung des Sektors, stellt die Betriebe aber vor neue Herausforderungen bei der Personalgewinnung und -bindung.
Ausblick: Was die Tarifrunde entscheiden könnte
Die anstehenden Tarifverhandlungen in der Landwirtschaft bewegen sich in einem komplexen Spannungsfeld zwischen verschiedenen Interessen. Auf der einen Seite steht der berechtigte Anspruch der Beschäftigten auf eine angemessene Entlohnung ihrer harten Arbeit unter oft schwierigen Bedingungen. Auf der anderen Seite sehen sich die Betriebe mit steigenden Kosten und wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert, die ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen können.
Ein zentraler Konfliktpunkt betrifft die Fachkräftesicherung. Viele landwirtschaftliche Betriebe haben bereits heute Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu finden. Gleichzeitig müssen sie die gestiegenen Anforderungen an Umweltstandards und Digitalisierung bewältigen. Hier könnte ein ausgewogener Tarifkompromiss nicht nur die aktuelle Kaufkraft der Beschäftigten stärken, sondern auch langfristig attraktive Arbeitsbedingungen schaffen.
Die Verhandlungen werden zudem von der Frage nach der Tarifbindung geprägt. Während tarifliche Regelungen für Planbarkeit bei den Arbeitgebern und Beschäftigten sorgen, erhöhen sie gleichzeitig den Kostendruck für die Betriebe. Vor dem Hintergrund globaler Märkte und schwankender Erzeugerpreise stellt sich die Frage, wie zusätzliche Lohnkosten aufgefangen werden können, ohne die Standortsicherheit zu gefährden.
Die Sozialpartner stehen vor der Aufgabe, eine Lösung zu finden, die beiden Seiten gerecht wird. Weitere Verhandlungstermine werden zeigen, ob es gelingt, einen Ausgleich zwischen den legitimen Interessen der Beschäftigten und den wirtschaftlichen Realitäten der Betriebe zu finden. Die Entscheidungen dieser Tarifrunde werden nicht nur über die unmittelbare Einkommenssituation der knapp 500.000 Beschäftigten bestimmen, sondern auch die Zukunftsfähigkeit der gesamten Branche mitprägen.
Die vorliegenden Angaben und Zitate stammen aus einer Pressemitteilung der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).
Weiterführende Quellen:
- „Im internationalen Vergleich lagen die Stundenlöhne 2023/2024 bei 7,08 Euro in Polen, 8,37 Euro in Spanien, 11,88 Euro in Frankreich; in Deutschland empfiehlt die Mindestlohnkommission 2024 eine Anhebung auf 14,60 Euro/Stunde, was laut Bauernverband die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet.“ – Quelle: https://www.bauernverband.de/topartikel/rukwied-mindestlohnerhoehung-wird-landwirtschaftliche-betriebe-zum-ausstieg-zwingen
- „Zwischen 2020 und 2023 sank die Zahl der Arbeitskräfte in der deutschen Landwirtschaft um rund 62.000 Personen, was einem Rückgang um etwa 7 Prozent entspricht (Stand: 2023).“ – Quelle: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/deutsche-landwirtschaft-in-zahlen-7800-bauernhofe-weniger-als-noch-2020-11057260.html
- „Die Zahl der Ausbildungsverträge zum/zur Landwirt/in sank von 43.000 im Jahr 2007 auf 32.000 im Jahr 2019; gleichzeitig stieg die Zahl der Studierenden im Agrarbereich von 10.000 auf 17.000 (Stand: 2019).“ – Quelle: https://www.maschinenring.de/blog/gruener-fachkraeftemangel
- „In der angrenzenden Branche Garten- und Landschaftsbau (GaLaBau) wurden die Tariflöhne 2023 um 5,9 Prozent und 2024 um 3,9 Prozent angehoben; zusätzlich wurde eine Inflationsausgleichsprämie von 500 Euro gezahlt (jeweils Stand 1. Juli).“ – Quelle: https://bi-medien.de/fachzeitschriften/galabau/nachrichten/tarifrunde-im-galabau-stehen-2025-wieder-verhandlungen-an-g18952
- „Eine aktuelle Branchenanalyse 2024 prognostiziert, dass künftig immer mehr große und kapitalintensive Agrarbetriebe mit moderner Technik die Landwirtschaft dominieren werden; Ursachen sind u. a. Fachkräftemangel und steigender Kostendruck.“ – Quelle: https://www.dzbank.de/content/dzbank/de/home/die-dz-bank/presse/schwerpunktthemen/2024/branchenanalyst-claus-niegsch-blickt-auf-die-bauernproteste—la.html


3 Antworten
Es ist erschreckend, wie schnell die Zahl der Arbeitskräfte sinkt! Wir müssen dringend etwas tun, um junge Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Was haltet ihr von besseren Ausbildungsbedingungen?
Die Forderung nach mehr Lohn ist sehr wichtig, besonders in Zeiten von Inflation. Es wäre hilfreich, wenn die Gewerkschaften auch die Arbeitgeberseite verstehen könnten. Wie denkt ihr über den Fachkräftemangel? Was könnte helfen?
Ich finde die 15 Prozent Lohnerhöhung gut! Die Landwirte müssen mehr verdienen. Aber wie kann man den Fachkräftemangel beheben? Vielleicht mehr Ausbildungsplätze schaffen?