– Jahresbericht der Wehrbeauftragten beklagt weiterhin massive Personal-, Material- und Infrastrukturmängel
– Bundeswehr-Stärke sinkt 2023 um 1.537 auf 181.514 Soldatinnen und Soldaten
– Unterstützung der Ukraine verschärft Materialengpässe und kritische Ausrüstungsdefizite
Lagebericht 2023: Bundeswehr zwischen Personalnot und Ausstattungsmängeln
Im Jahr 2023 sieht sich die Bundeswehr weiter mit massiven Herausforderungen konfrontiert, wie die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl*, in ihrem aktuellen Jahresbericht feststellt. Das Dokument, das kürzlich an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas übergeben wurde (Drucksache 20/10500), macht die fortdauernden Probleme in den Bereichen Personal, Material und Infrastruktur deutlich. Die Truppe schrumpft und altert zugleich; im vergangenen Jahr verringerte sich die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf nur noch 181.514, was einen Rückgang von 1.537 gegenüber dem Vorjahr bedeutet*. Eine tiefgreifende Personalnot ist spürbar, denn viele Verbände leiden unter erheblichen Vakanzen*, und der Mangel an dringend benötigtem Personal bleibt bestehen*.
Dieser Engpass belastet die Soldaten erheblich: Überstunden im dreistelligen Bereich und lange Abwesenheiten von den Familien setzen viele offensichtlich unter starken Druck*. Dabei müssen bei Personalknappheit immer wieder dieselben ran. Auch die materielle Ausstattung zeigt eine kritische Lage. Von Großgerät bis zu Ersatzteilen gibt es umfassende Defizite, die durch die Unterstützung für die Ukraine zusätzlich verschärft werden*. Während früher oft Helme und Schutzwesten fehlten, berichten die Truppenbesuche von Högl heute von einem Mangel an scheinbar kleineren, aber ebenso wichtigen Dingen: Spinde*.
Eine Hoffnung für die Verbesserung sieht Högl in einer intensiveren Rekrutierung von Frauen. Das Potenzial weiblicher Bewerber sei längst nicht ausgeschöpft; durch gezielte Bemühungen könnten so wertvolle Ressourcen erschlossen werden*.
Högl richtet außerdem ihren Blick auf die Auslandseinsätze. Der Einsatz in Mali bleibt, ähnlich wie zuvor der Afghanistan-Einsatz, aus ihrer Sicht „ernüchternd“. Für die Zukunft prognostiziert sie eine Verringerung großangelegter Einsätze zugunsten einer stärkeren Konzentration auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Diese habe nicht nur innerstaatliche Bedeutung, sondern verteidige auch europäische Freiheitssysteme gegen Aggressionen, wie sie eindringlich betont. Aus diesem Einsatz folge aber zugleich zwingend, dass das bereitgestellte Material zügig nachgeschafft werden müsse, um die Aufgabenerfüllbarkeit innerhalb Deutschlands sicherzustellen*.
Bundeswehr im Wandel: Herausforderungen, Ursachen und Perspektiven
Die Bundeswehr steht vor einem tiefgreifenden Strukturwandel, der weit über aktuelle Ereignisse hinaus auf gesellschaftliche, politische und militärische Veränderungen reagiert. Die Personalknappheit und der Materialmangel sind dabei keine isolierten Probleme, sondern das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren. Diese betreffen nicht nur die Bundeswehr selbst, sondern spiegeln sich auch in anderen europäischen Streitkräften wider und haben gesellschaftliche Relevanz.
Ursache für die Schwierigkeiten bei der Nachwuchsgewinnung sind unter anderem der demografische Wandel, der den Pool an potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern verkleinert, sowie veränderte Erwartungen und Prioritäten junger Menschen. Gleichzeitig schaffen es die Streitkräfte nur schwer, mit attraktiven Karrieremöglichkeiten und moderner Ausstattung dem Wettbewerb um Fachkräfte in anderen gesellschaftlichen Sektoren wie Technologie, Handwerk oder Verwaltung standzuhalten. Der Mangel an geeignetem Material ist eng verbunden mit langen Beschaffungsprozessen und begrenzten Investitionsmitteln, die eine schnelle Modernisierung erschweren.
Herausforderungen in der Nachwuchsgewinnung
Die Bundeswehr muss zunehmend um die besten Talente werben – dabei ist das Recruiting geprägt von einem höheren Anspruch an Ausbildung, Arbeitsbedingungen und gesellschaftlicher Anerkennung. Dies betrifft sowohl die technische Expertise als auch den Dienst an sich, der heute weniger mit traditionellen Vorstellungen von Soldatentum verbunden wird und mehr auf moderne Anforderungen wie Bündnisverteidigung ausgerichtet ist.
Fokus auf Bündnisverteidigung statt Auslandseinsätze
Ein wesentlicher Wandel zeigt sich auch in der strategischen Ausrichtung: Die Bundeswehr konzentriert sich zunehmend auf die Bündnisverteidigung innerhalb der NATO, während Auslandseinsätze relativ zurücktreten. Dies bedingt eine andere Strukturierung der Truppe, anderweitige Anforderungen an Personal und Ausrüstung sowie eine enge Vernetzung mit internationalen Partnerstreitkräften.
Der Blick ins europäische Ausland zeigt, dass viele Länder mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind: Eine alternde Bevölkerung, Konkurrenz um Nachwuchskräfte und komplexe Beschaffungsprozesse wirken sich auf die Einsatzbereitschaft aus. Die Bundeswehr steht damit in einem Wettbewerb, der Kooperationen und den Erfahrungsaustausch mit anderen Staaten notwendig macht.
Eine Übersicht zentraler Herausforderungen und möglicher Lösungsansätze verdeutlicht, wie umfassend und miteinander verknüpft die Fragen rund um die Zukunft der Bundeswehr sind:
- Personalknappheit: Ursachen liegen im demografischen Wandel und Konkurrenz durch andere Arbeitsmärkte. Lösung kann sein: attraktivere Karriereoptionen, flexible Dienstmodelle und gezielte Nachwuchsförderung.
- Materialmangel: Lange Beschaffungszeiten und Finanzierungsengpässe wirken hier negativ. Erforderlich sind effizientere Prozesse, Priorisierung innovativer Technologien und erhöhter Investitionsstandard.
- Gesellschaftliche Relevanz: Akzeptanz und Wertschätzung in der Bevölkerung sind entscheidend für die Motivation und das Selbstverständnis der Truppe. Informationskampagnen und transparentes Handeln können hier unterstützen.
- Internationale Zusammenarbeit: Gemeinsame Übungen, vernetzte Verteidigungsstrukturen und Erfahrungsaustausch stärken die Position im Bündnis und erhöhen Effizienz.
Die Zukunft der Bundeswehr wird von ihrer Fähigkeit abhängen, auf diese Herausforderungen flexibel und innovativ zu reagieren und sich dabei gleichzeitig gesellschaftlich zu verankern. Nationale Reformen und internationale Kooperationen sind zentrale Bausteine, um die Truppe zukunftsfähig aufzustellen und den komplexen sicherheitspolitischen Anforderungen gerecht zu werden.
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Deutscher Bundestag – Högl beklagt große Personalvakanzen bei der Bundeswehr