Geschlechtersensible Medizin: Warum bessere Gesundheitsdaten und der Abbau des Gender Data Gap Wirtschaft und Versorgung revolutionieren

Bei der Podiumsdiskussion von BVMed und Taylor Wessing am 24. Juni in Berlin hoben Expert:innen hervor, dass geschlechtersensible Medizin Versorgungslücken schließt und gleichzeitig neue Wachstumschancen für Wirtschaft und Forschung bietet. Voraussetzung dafür ist das Schließen des „Gender Data Gap“ durch bessere Datennutzung und den gezielten Einsatz von KI. Deutschland könne dank seines sicheren Rechtsrahmens eine Vorreiterrolle übernehmen. Fehlen repräsentative Daten, bleiben Fehl­diagnosen und Präventionsdefizite bei Frauen jedoch bestehen.
VerbandsMonitor – Themen, Trends und Ticker vom 13.04.2025

– Veranstaltung in Berlin am 24. Juni 2025 zu gendersensibler Medizin als Wachstumstreiber.
– Koalitionsvertrag fordert geschlechter- und diversitätssensible Vorsorge, Behandlung, Forschung.
– Schließung des Gender Data Gap und Einsatz von KI für bessere Medizindatennutzung.

Geschlechtersensible Medizin als Schlüssel für Gesundheit und Innovation

Am 24. Juni 2025 rückten der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) und die Kanzlei Taylor Wessing in Berlin ein zentrales Thema in den Fokus: die wachsende Bedeutung der geschlechtersensiblen Medizin. Mit Blick auf die medizinische Vorsorge, Behandlung und Forschung betonten Expertinnen und Experten auf der gemeinsamen Veranstaltung, wie wichtig es ist, diese Bereiche zunehmend „geschlechts- und diversitätssensibel“ zu gestalten. Ausgangspunkt bleibt dabei eine bedeutende Lücke: der sogenannte „Gender Data Gap“, eine unzureichende Berücksichtigung von Frauen in medizinischen und technologischen Studien, die die Qualität und Relevanz von Forschungsergebnissen maßgeblich beeinflusst.

Die FemTech-Expertin Dr. Christiane Hagel von der Universität Oxford wies darauf hin, dass Deutschland „Vorreiter sein“ kann, denn „im Gegensatz zu den USA haben wir einen sicheren Rechtsrahmen für Daten“. Für sie ist die Verbesserung der Frauengesundheit nicht nur medizinisch notwendig, sondern birgt zugleich ein großes wirtschaftliches Potenzial. Neben dem gesellschaftlichen Nutzen unterstrich sie bei der Veranstaltung, dass die korrekte Nutzung geschlechtersensibler Daten zur Stärkung der Gesundheitsversorgung und zugleich zur Förderung von Innovation und Wachstum beiträgt.

Prof. Dr. Ute Seeland von der Universität Magdeburg stellte zwei gravierende Defizite in der Versorgung heraus: mangelnde Prävention und die unzureichende Berücksichtigung geschlechtersensibler Ansätze. Sie forderte, „etwas weniger organspezifische, mehr systemspezifische Betrachtungen“ in den medizinischen Alltag zu integrieren. Als Beispiel nennt sie kardiologische Erkrankungen, bei denen „die Symptome bei Frauen anders als bei Männern“ verlaufen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Digitalisierung aller Phasen der Patient Journey – von Früherkennung über Behandlung bis zur Nachsorge. Dabei könnten KI-Algorithmen die Sterblichkeit von Frauen und Männern an Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken, doch aktuell werde ihr Potenzial noch nicht ausreichend genutzt.

Die Diskussion verdeutlichte, dass die Qualität der Daten entscheidend ist: Dr. Carolin Monsees von Taylor Wessing betonte, dass „auch der beste KI-Algorithmus nicht helfen kann, wenn die Datenqualität nicht stimmt“. Deshalb sei die Regulierung der KI-Anwendung durch den europäischen AI-Act sinnvoll. Parallel dazu steht der erste Schritt im Vordergrund: bessere Verfügbarkeit, standardisierter Datenaustausch und effiziente Nutzung von Gesundheitsdaten.

Natalie Gladkov vom BVMed hob hervor, dass das aktuelle Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz den Zugang von forschenden MedTech-Unternehmen zu Gesundheitsforschungsdaten erleichtert. Sie unterstrich: „Dieser Zugang und die Nutzung von Gesundheitsdaten für Forschung und Entwicklung sind wichtig. Besonders die Gender-Data-Gap muss geschlossen werden, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Nur so können wir die Ursachen der Gesundheitslücke bei Frauen angehen.“ Dabei geht es nicht nur um neue Technologien, sondern um einen effektiveren Umgang mit vorhandenen Datenschätzen.

Als praktisches Beispiel nannte Jörg M. Huber von Dexcom, wie sich durch Erkenntnisse aus den Daten der kontinuierlichen Glukosemessung das Blutzuckermanagement von Diabetiker:innen verbessern lässt. „Wir brauchen eine Aufbruchstimmung und müssen anfangen, Daten besser zu nutzen“, fordert er und weist darauf hin, dass aktuelle Rahmenbedingungen wie das Korsett für Nutzenstudien nicht immer auf digitale Innovationen zugeschnitten sind.

Auch bei den Krankenkassen bestehen noch Hürden: Die Vorständin der mkk-Krankenkasse, Andrea Galle, beschreibt die Situation so: „Die Krankenkassen haben viele Daten, können sie aber in den meisten Fällen nicht nutzen.“ Insbesondere die präventive Nutzung werde dadurch gehemmt, weil wichtige Abrechnungsdaten nicht mit freiwillig bereitgestellten Versorgungsdaten verknüpft werden dürfen.

Die Veranstaltung zeigte eindrücklich, dass verbesserte Datennutzung und KI-gestützte Auswertungen große Chancen bieten, die Defizite in der gendersensiblen Medizin zu verringern. Das Thema ist auf politischer und gesellschaftlicher Ebene angekommen, dennoch liegt der Weg zu konkreten Lösungen weiterhin vor uns. Die Podiumsdiskussion in Berlin machte klar: Es braucht neue Impulse, um den „Gender Data Gap“ zu schließen, Daten intelligent zu verknüpfen und so die Gesundheitsversorgung weiblicher und diverser Patientengruppen spürbar zu verbessern.

Wie geschlechtersensible Medizin Gesellschaft und Wirtschaft verändert

Klassische medizinische Modelle setzen oft männliche Körper als Standard voraus. Das führt zu einer systematischen Unterrepräsentation von Frauen in Forschung und Versorgung. Die Folge sind erhebliche Lücken in der medizinischen Praxis: Symptome, Krankheitsverläufe und Therapieerfolge unterscheiden sich häufig zwischen den Geschlechtern, werden jedoch nicht ausreichend berücksichtigt. Dieses Phänomen wird als Gender Data Gap bezeichnet – eine Datenlücke, die besonders Frauen benachteiligt und die Qualität der Versorgung einschränkt.

Die Auswirkungen sind gravierend. Fehlende oder ungenaue Daten über weibliche Patientinnen erschweren die Entwicklung zielgenauer Präventionsmaßnahmen und Therapien. Auch bei der Früherkennung von Krankheiten zeigen sich geschlechterspezifische Unterschiede, etwa bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wo Symptome bei Frauen oft anders verlaufen als bei Männern. Dadurch entgehen viele Patientinnen rechtzeitige Behandlungen. Das schwächt nicht nur die Patientensicherheit, sondern führt auch zu höheren Gesundheitskosten.

Die Stärkung der geschlechtersensiblen Medizin eröffnet daher vielfältige Chancen:

  • Verbesserte Diagnose und Prävention durch umfassendere und differenziertere Daten
  • Individualisierte Behandlungsansätze für alle Geschlechter, die den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen
  • Steigerung der Patientensicherheit und Reduktion von Behandlungsfehlern
  • Wirtschaftliche Impulse durch innovative FemTech-Produkte und -Dienstleistungen

Diese Entwicklungen sind nicht nur für Patientinnen zentral, sondern wirken sich langfristig positiv auf die gesamte Gesellschaft und das Gesundheitssystem aus. Deutschland hat laut Dr. Christiane Hagel von der University of Oxford das Potenzial, hier eine Vorreiterrolle einzunehmen, weil es – anders als etwa die USA – über einen sicheren Rechtsrahmen für den Umgang mit Gesundheitsdaten verfügt.

Der Trend zu geschlechtersensibler Forschung und Versorgung gewinnt international an Fahrt. Politisch gewinnt die Thematik an Gewicht: Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass medizinische Vorsorge, Behandlung und Forschung geschlechts- und diversitätssensibel gestaltet werden müssen. Zusammen mit der digitalen Infrastruktur und dem Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz, das unter anderem forschenden MedTech-Unternehmen besseren Zugang zu Daten ermöglicht, entstehen neue Chancen für den Fortschritt.

Auf europäischer Ebene setzt der geplante AI-Act wichtige Maßstäbe: Er soll die Verwendung von KI-Systemen im Gesundheitsbereich regulieren und so sicherstellen, dass Algorithmen auf qualitativ hochwertigen und geschlechtergerechten Daten basieren. Denn wie Dr. Carolin Monsees von Taylor Wessing mahnt: „Auch der beste KI-Algorithmus kann nicht helfen, wenn die Datenqualität nicht stimmt.“ Der Ausbau internationaler Standards für Datenverfügbarkeit und -austausch bleibt ein zentraler Hebel zur Überwindung des Gender Data Gap.

Innovationskraft und gesellschaftliche Auswirkungen

Die Verbindung von digitaler Technologie und geschlechtersensibler Medizin eröffnet enormes Innovationspotenzial. KI-gestützte Analyseverfahren können helfen, Unterschiede in Symptomen oder Krankheitsverläufen frühzeitig zu erkennen und Behandlungswege individuell anzupassen. Dies betrifft nicht nur die klinische Versorgung, sondern auch die Entwicklung neuer Medizinprodukte, wie sie beispielsweise in der FemTech-Branche entstehen.

Für die Wirtschaft bedeutet die Verbesserung der geschlechtersensiblen Medizin einen vielversprechenden Wachstumsmarkt. Medizintechnikunternehmen und Start-ups können durch die Nutzung genauerer Gesundheitsdaten Produkte entwickeln, die besser auf die Bedürfnisse verschiedener Geschlechter abgestimmt sind. Damit steigt die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des gesamten Sektors. Zudem profitieren Gesundheitskassen von präventiveren Maßnahmen, die langfristig Kosten senken.

Die gesellschaftliche Wirkung ist breit gefächert: Frauen erhalten bessere medizinische Versorgung, Diskriminierung in der Forschung wird reduziert und die Gesundheitskompetenz steigt insgesamt. Dies führt zu einer insgesamt resilienteren Gesellschaft und entlastet das Gesundheitssystem.

Die Zukunft der geschlechtersensiblen Medizin verspricht mehr als nur bessere Gesundheitsversorgung: Sie kann ein Motor für gesellschaftlichen Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum werden. Entscheidend bleibt, die vorhandenen Datenschätze zu heben, den Gender Data Gap konsequent zu schließen und Technologien wie KI verantwortungsvoll einzusetzen – so, dass sie allen Patientinnen und Patienten zugutekommen.

Die Informationen und Zitate in diesem Beitrag stammen aus einer Pressemitteilung des Bundesverbandes Medizintechnologie e.V.

11 Antworten

  1. Die Geschlechterunterschiede im Gesundheitswesen sind wirklich besorgniserregend. Ich frage mich oft: Was können wir als Gesellschaft tun, um diese Kluft zu schließen? Gibt es bereits Initiativen oder Programme dazu?

    1. Genau! Bildung über diese Themen kann einen großen Unterschied machen und uns helfen einander zu unterstützen.

  2. „Systemspezifische Betrachtungen“ klingt gut! Ich frage mich aber, ob das nicht auch zusätzliche Kosten verursacht? Wer wird dafür bezahlen? Wir müssen sicherstellen, dass es für alle zugänglich bleibt.

    1. ‚Gute Punkte Berthold! Es ist wichtig sicherzustellen das diese Ansätze finanzierbar sind und niemand ausgeschlossen wird.‘

  3. Ich fand die Veranstaltung in Berlin sehr aufschlussreich! Besonders der Punkt über KI hat mein Interesse geweckt. Aber wie kann sichergestellt werden, dass die Algorithmen auch tatsächlich geschlechtersensibel sind?

    1. Das ist eine interessante Frage! Vielleicht sollten wir auch darüber nachdenken, wie wir die Daten sammeln und welche Standards dabei eingehalten werden müssen.

    2. Ich bin auch neugierig auf die KI-Anwendungen! Es wäre toll zu sehen, wie sie konkret in der Praxis eingesetzt werden können und ob sie wirklich so viel bewirken können.

  4. Der Gender Data Gap ist ein großes Problem. Es sollte nicht so sein, dass Frauen in der Medizin nicht gleich behandelt werden. Ich hoffe, dass mehr Stimmen erhoben werden, um diese Ungerechtigkeit zu bekämpfen.

  5. Ich finde die Idee der gendersensibler Medizin sehr wichtig. Es ist nicht fair, dass Frauen oft weniger beachtet werden in der Forschung. Aber wie genau soll das alles umgesetzt werden? Welche Schritte sind geplant?

    1. Ja, das ist ein guter Punkt! Ich denke, mehr Forschung ist nötig, um die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu verstehen. Vielleicht könnte auch eine öffentliche Kampagne helfen, um mehr Bewusstsein zu schaffen?

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