EU-Klimaziel 2040: Flexiblere Emissionsgutschriften im Klimagesetz – Chancen, Risiken und Kontroversen

Die EU-Kommission schlägt vor, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2040 um 90 Prozent gegenüber 1990 zu senken und erstmals Flexibilitäten wie internationale Emissionsgutschriften in Höhe von drei Prozentpunkten zuzulassen. Das Öko-Institut warnt, dass solche Spielräume die realen Emissionsminderungen schwächen und fordert deshalb klare Obergrenzen sowie eine konsequente Ausrichtung auf dauerhafte, inländische CO₂-Entnahmen. Am 4. Juli 2025 diskutieren Fachleute diese Fragen im Webinar „The Commission proposal on an EU 2040 climate target – An initial assessment of key issues“.
VerbandsMonitor – Themen, Trends und Ticker vom 13.04.2025

– EU-Kommissionsvorschlag sieht 90 Prozent Netto-Treibhausgasminderung bis 2040 gegenüber 1990 vor
– Internationale Emissionsgutschriften verzerren Zielbilanz, führen zu 30 Prozent höheren Nettoemissionen
– Nur dauerhafte inländische CO₂-Entnahmen bis 2035 anrechnen, um echte Emissionsminderung zu sichern

EU-Kommission schlägt 90-Prozent-Reduktion der Netto-Emissionen bis 2040 vor – flexible Instrumente sorgen für Diskussion

Die Europäische Kommission hat ihren Entwurf für das EU-Klimaziel 2040 vorgestellt. Demnach sollen die europäischen Staaten ihre Netto-Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Dieser ambitionierte Schritt setzt den Rahmen für die Überarbeitung des EU-Klimagesetzes und stellt einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der langfristigen Klimaschutzziele dar. Gleichzeitig sieht der Vorschlag sogenannte „Flexibilitäten“ vor, die insbesondere die Anrechnung internationaler Emissionsgutschriften und flexibler sektorübergreifender Maßnahmen ermöglichen.

Laut dem Vorschlag sollen Emissionsminderungen aus dem Ausland in einem Umfang von bis zu drei Prozentpunkten der Emissionen von 1990 anerkannt werden können, um die Ziele zu erreichen. Das Öko-Institut warnt jedoch, dass durch die Einrechnung dieser internationalen Emissionsgutschriften die Nettoemissionen im Jahr 2040 faktisch um 30 Prozent höher lägen als ohne diese Flexibilitäten. So würden die Bruttoemissionen, also die tatsächlichen Emissionen ohne CO₂-Entnahmen, nur um 80 statt 90 Prozent gegenüber 1990 sinken.

Ein weiterer zentraler Bestandteil des Vorschlags betrifft den Einsatz von Carbon Dioxide Removal (CDR), also der CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre im Rahmen des Europäischen Emissionshandels. Ab 2035 könnte diese Technik eine wachsende Rolle spielen. Die Kommission schlägt vor, dass bis dahin nur dauerhafte und inländische CO₂-Entnahmen für das Klimaziel angerechnet werden dürfen, um zu verhindern, dass echte Emissionsminderungen durch diese Maßnahmen verdrängt werden. Das Öko-Institut bezeichnet diesen Punkt als „notwendig und wichtig“.

Auch beim Thema sektorübergreifende Flexibilität warnt das Öko-Institut vor Risiken. Ein zu großer Spielraum zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen könne das 2050-Klimaziel gefährden, weshalb die Flexibilität nur unter strengen Bedingungen erlaubt werden sollte. Jakob Graichen, Senior Researcher am Öko-Institut, fasst die Situation so zusammen: „Der Vorschlag der EU-Kommission für das 2040-Klimaziel ist ein wichtiger Schritt, setzt aber an entscheidenden Stellen auf zu viel Flexibilität. Maßnahmen wie internationale Emissionsgutschriften oder CO₂-Entnahmen dürfen nicht dazu führen, dass reale Emissionsminderungen ins Hintertreffen geraten. Damit das Klimaziel glaubwürdig bleibt, braucht es klare Begrenzungen und eine konsequente Ausrichtung auf tatsächliche Minderung.“

Um die wichtigsten Aspekte des Kommissionsvorschlags und der Öko-Institut-Analyse zu vertiefen, findet am Freitag, 4. Juli 2025, von 11.00 bis 12.00 Uhr (MEZ) ein kostenloses Fach-Webinar statt. Unter dem Titel „The Commission proposal on an EU 2040 climate target – An initial assessment of key issues“ wird das Thema umfassend diskutiert. Informationen und Anmeldemöglichkeit sind abrufbar unter https://lets-meet.org/reg/a68a7111e7cb571243 .

Was das neue EU-Klimaziel 2040 für Europa und die Gesellschaft bedeutet

Die Festlegung eines ambitionierten Klimaziels für das Jahr 2040 markiert einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer klimaneutralen Zukunft Europas. Vorgesehen ist eine Reduktion der Netto-Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber 1990. Dieses Ziel verdeutlicht die Dringlichkeit, den Ausstoß klimaschädlicher Gase drastisch zu senken – doch gleichzeitig enthält der Kommissionsvorschlag zahlreiche Flexibilitäten, die Chancen und Risiken miteinander verbinden und vielfältige Auswirkungen auf Wirtschaft, Alltag und Politik haben.

Diese Flexibilitäten erlauben es, Emissionssenkungen nicht ausschließlich durch eigene Maßnahmen innerhalb der EU zu erbringen, sondern auch sogenannte internationale Emissionsgutschriften aus dem Ausland anerkennen zu lassen. Konkret sieht der Vorschlag vor, Gutschriften bis zu drei Prozentpunkten der Emissionen von 1990 einzusetzen, um die Klimaziele zu erreichen. Eine solche Praxis weitet den Spielraum zur Zielerreichung, birgt aber das Risiko, dass die reale Reduktion der Bruttoemissionen geringer ausfällt als der ambitionierte Netto-Wert suggeriert.

Was bedeuten diese flexiblen Regeln konkret? Die Nettoemissionen könnten zwar um 90 Prozent sinken, doch wenn Emissionsgutschriften angerechnet werden, würden die tatsächlichen Bruttoemissionen voraussichtlich nur um etwa 80 Prozent unter das Niveau von 1990 fallen. Hier liegt ein entscheidender Kritikpunkt: Die effektive Umweltwirkung könnte durch die sogenannte „Bilanzverschiebung“ abgeschwächt werden, weil Emissionen außerhalb der EU verrechnet werden und nicht in echte Veränderungen vor Ort münden. Dadurch entsteht die Gefahr, dass klimafreundliche Transformationen in Wirtschaft und Gesellschaft geringer ausfallen als nötig.

Wem nutzen Flexibilitäten – und auf wessen Kosten?

Flexibilitäten im Klimaschutz können ökonomisch sinnvoll sein, weil sie Kosten dort vermeiden, wo der Klimaschutz am teuersten ist. Für die Wirtschaft bieten sie potenziell Spielräume, um Investitionen besser zu steuern und Übergangsprozesse abzufedern. Allerdings besteht die Gefahr, dass die entstehende Ungleichheit in der Klimaleistung von Staaten oder Sektoren wächst. Staaten oder Branchen mit geringeren Emissionssenkungen könnten sich stärker auf externe Kompensationen verlassen, wodurch Belastungen ungleich verteilt werden. Für betroffene Regionen und Arbeitnehmer können daraus soziale Herausforderungen entstehen, wenn der Strukturwandel verzögert oder verschleiert wird.

Für die Gesellschaft bedeutet das: Der Alltag ändert sich nicht automatisch umfassend grüner, wenn externe Gutschriften zum Klassenprimus werden. Lebensbereiche wie Mobilität, Energieverbrauch und Konsum tragen weiterhin hohe Emissionen, wenn nicht lokale Maßnahmen und Verhaltensänderungen folgen. Dabei entscheidet sich auch politisch, wie viel Druck auf Unternehmen und Bürger:innen lastet oder wie stark internationale Kompensationen das Bild eines ambitionierten Klimaziels überlagern.

Technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen

Neben den flexiblen Anrechnungsregeln spielt der Umgang mit Technologien zur CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) eine zentrale Rolle. Die EU-Kommission schlägt vor, Emissionsminderungen durch CDR bis 2035 nur dann anzurechnen, wenn sie dauerhaft und in der EU erfolgen. Dieses Vorgehen soll verhindern, dass kurzlebige oder unsichere Technologien als Scheinlösung dienen und echte Emissionsminderungen verdrängen.

Diese Regelung unterstreicht die technische Herausforderung, dauerhafte und verlässliche CO₂-Speicherung zu gewährleisten. Klimaschutz verlangt zudem eine starke Innovationskraft in erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und nachhaltigen Produktionsweisen. Wirtschaftlich gesehen erhöht das Ziel den Druck auf Unternehmen, ihre Prozesse schnell anzupassen und klimafreundlich zu gestalten – vom Anlagenbau bis zur Lieferkette.

Gesellschaftlich stellt das neue Klimaziel auch Fragen nach Auswirkungen auf Arbeitsplätze, regionale Wirtschaften und soziale Gerechtigkeit. Werden notwendige Transformationsschritte ausreichend begleitet, um Strukturwandel sozialverträglich zu gestalten? Wie kann der breite gesellschaftliche Konsens entstehen, der ehrgeizigen Klimaschutz mit Akzeptanz und Teilhabe verknüpft?

Diese komplexen Herausforderungen sind Bestandteil einer öffentlichen Debatte, die sich zwischen Hoffnung auf technologische Lösungen und Forderungen nach verbindlichem Handeln bewegt. Offen bleibt, wie sich der Klimaschutzwille in den kommenden Jahren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft fortsetzt – ob wirklicher Fortschritt gelingt oder flexible Schlupflöcher die Umsetzung verzögern.

Im Kern steht die Frage: Wie lässt sich der Spagat zwischen Kosten, Effizienz und echter Emissionsreduktion so gestalten, dass das EU-Klimaziel 2040 eine glaubwürdige und wirksame Grundlage für den Klimaschutz bildet? Experten wie Jakob Graichen mahnen, dass „internationale Emissionsgutschriften oder CO₂-Entnahmen nicht dazu führen [dürfen], dass reale Emissionsminderungen ins Hintertreffen geraten.“ Nur dann bleibt das Klimaziel mehr als eine politische Absichtserklärung und kann Europa auf einen nachhaltigen Pfad bringen.

Die hier aufgeführten Informationen und Zitate stammen aus einer Pressemitteilung des Öko-Instituts.

7 Antworten

  1. Die Flexibilitäten im Vorschlag sind problematisch meiner Meinung nach! Sie könnten dazu führen, dass wir uns weniger anstrengen müssen. Wie können wir sicherstellen, dass echte Reduktionen Priorität haben?

    1. @Horstdieter85 Ich teile deine Sorgen! Die Politik muss klare Regeln festlegen und die Verantwortung übernehmen.

  2. Ich finde es gut, dass es ein Webinar gibt! Es ist wichtig, solche Themen zu diskutieren. Aber wie sieht es mit der Transparenz aus? Werden die Ergebnisse wirklich veröffentlicht und für alle zugänglich gemacht?

    1. Das Webinar klingt vielversprechend! Ich hoffe, es wird auch genug Raum für kritische Fragen geben. Wir brauchen mehr als nur Lippenbekenntnisse!

  3. Es ist beeindruckend, dass die EU so hohe Ziele setzt! Aber ich frage mich, ob die Technologie zur CO₂-Entnahme wirklich funktioniert. Welche Erfahrungen habt ihr damit? Das muss ja alles auch finanziert werden.

  4. Ich finde die Idee von 90% Emissionsminderung bis 2040 sehr wichtig, aber wie wird sichergestellt, dass wir nicht nur auf internationale Emissionsgutschriften setzen? Das könnte unsere echten Fortschritte gefährden. Wie seht ihr das?

    1. Ja, das ist ein guter Punkt. Ich habe auch Bedenken, dass wir uns zu sehr auf diese Gutschriften verlassen. Was wäre denn eine bessere Lösung? Mehr lokale Maßnahmen könnten helfen.

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