BVMed fordert dual nutzbares Gesundheitssystem: So soll Deutschland krisenfest werden

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) fordert ein krisenfestes Gesundheitssystem, das sowohl im Alltag als auch im Notfall funktioniert. Dafür müsse die medizinische Versorgung digital gestützt und skalierbar ausgebaut werden. Die MedTech-Branche sieht sich als zentralen Partner, um ein solches resilientes System in Deutschland zu etablieren.
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Inhaltsübersicht

– BVMed fordert ein resilientes und dual nutzbares Gesundheitsversorgungssystem.
– Medizintechnik soll integraler Bestandteil des Zivilschutzes und der Krisenvorsorge werden.
– Digitalisierung und skalierbare Infrastruktur sind Schlüssel für krisenfeste Versorgung.

Krisenfeste Gesundheit: BVMed fordert dual nutzbares und digital vernetztes Versorgungssystem

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) hat am 9. Oktober 2025 in Berlin ein Positionspapier zur Krisenvorsorge vorgestellt, das einen strategischen Kurswechsel im deutschen Gesundheitswesen fordert. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach einem resilienten und dual nutzbaren Versorgungssystem, das sowohl im Alltag als auch im Krisenfall voll funktionsfähig bleibt. „Die medizinische Versorgung hat eine Schlüsselrolle im Krisenfall. Wir müssen jetzt die Strukturen schaffen, die in der Krise notwendig sind. Das Ziel muss der Aufbau eines resilienten, dual nutzbaren Systems medizinischer Versorgung sein, das sowohl im Alltag als auch im Krisenfall tragfähig ist“, betont BVMed-Vorstandsmitglied Stefan Geiselbrechtinger.

Das Positionspapier unterstreicht die zentrale Bedeutung der Medizintechnik-Branche für den Bevölkerungsschutz. „Der Schutz und die Versorgung der Bevölkerung sowie die Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit der Streitkräfte hängen maßgeblich von einer leistungsfähigen, robusten und skalierbaren medizinischen Infrastruktur ab“, heißt es in dem Dokument. Der BVMed repräsentiert als Branchenverband über 300 Hersteller und Zulieferer der Medizintechnik (Stand: 09.10.2025).

Konkret schlägt der Verband vier zentrale Ansätze vor:

  • Ein Netzwerk aus Versorgungsknoten, das bestehende Traumazentren mit Bundeswehrkrankenhäusern und Unikliniken verbindet
  • Skalierbare Infrastruktur durch modulare Feldkliniken, die sowohl bei Großschadenslagen als auch im Bündnisfall einsetzbar sind
  • Einen Personal-Pool mit Doppelfunktion, der medizinisches Fachpersonal für den Krisenfall vorsieht
  • Digitale Steuerungssysteme zur Abbildung von Versorgungspfaden, die von der Alltagsversorgung bis zur Massenanfalllage skalieren können

Die Digitalisierung identifiziert der BVMed als entscheidenden Enabler für diese Konzepte. „Die Digitalisierung ist die Ermöglicherin für viele der vorgeschlagenen skalierbaren und innovativen Ansätze“, so Geiselbrechtinger. Das Papier beschreibt fünf digitale Anwendungsfelder von vernetzten Plattformen über Telemedizin bis hin zu KI-gestützter Diagnostik.

Die wirtschaftliche Basis für diese Vorreiterrolle ist gegeben: Die Medizintechnik-Branche beschäftigte im Jahr 2024 laut Gesundheitswirtschaftlicher Gesamtrechnung des WifOR-Instituts 212.100 Menschen und erwirtschaftete eine Bruttowertschöpfung von 19,7 Milliarden Euro. Mit 1.510 Herstellern (über 20 Beschäftigte) und einem Gesamtumsatz von über 41 Milliarden Euro (55 Milliarden inklusive Kleinstunternehmen) zeigt die Branche ihre Leistungsfähigkeit. Bemerkenswert ist der Exportanteil von 68 Prozent sowie eine Forschungsquote von 9 Prozent des Umsatzes (Stand: 2024).

„Die MedTech-Branche ist ein integraler Bestandteil der zivilen und militärischen Gesundheitsvorsorge und Versorgung. Ihre Rolle geht im Krisenfall weit über die Produktbereitstellung hinaus. Deutschland hat als führender MedTech-Standort Europas die Möglichkeit, ein international sichtbares Modell resilienter Versorgung aufzubauen. Jetzt ist der Zeitpunkt zu handeln!“ appelliert Geiselbrechtinger abschließend.

Dual nutzbar: Warum Krankenhäuser jetzt flexibel sein müssen

Die sicherheitspolitische Lage hat sich grundlegend gewandelt. Pandemien, Naturkatastrophen und hybride Bedrohungen erfordern Gesundheitsstrukturen, die im Alltag funktionieren und im Ernstfall sofort skalieren können. Krankenhäuser arbeiten bereits an IT-Resilienz – etwa mit Netzwerksegmentierung, Notfallübungen und Backups (Stand: Mai 2023; Quelle: Krankenhaus-IT-Studie). Studien unterstreichen die Bedeutung digitaler Kommunikationskanäle für Echtzeit-Alarmierung und sektorübergreifende Koordination, was die schnelle Verteilung von Patientinnen und Patienten erst ermöglicht (Stand: Mai 2023; Quelle: Krankenhaus-IT-Studie).

Was „dual nutzbar“ im Klinikalltag bedeutet

Duale Nutzbarkeit meint mehr als nur Notfallpläne in der Schublade. Es geht um Infrastrukturen, die sowohl im Regelbetrieb als auch bei Großschadenslagen oder im Bündnisfall voll funktionsfähig bleiben. Moderne Kliniken entwickeln sich zu flexiblen Knotenpunkten, die ihre Kapazitäten bei Bedarf rasch erweitern können. Entscheidend ist dabei die digitale Vernetzung: Ein zentrales Steuerungssystem, das im Alltag bei Engpässen Patientinnen und Patienten länderübergreifend verteilt, muss im Krisenfall auf Tausende Verwundete skalieren können. Die Erfahrung zeigt: Solche Systeme funktionieren nur, wenn alle Beteiligten sie bereits aus regelmäßigen Übungen kennen und im Alltag nutzen.

Zahlencheck: Kapazitäten und Investitionen

Die Bundesregierung hat in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 4,3 Milliarden Euro für Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen bereitgestellt (Stand: September 2025). Als Zielmarke gilt eine vollständig digitalisierte Notfallkommunikation bis Ende 2025. Diese Investitionen bilden die finanzielle Grundlage für moderne Versorgungsstrukturen, die sowohl im Alltag als auch im Krisenfall funktionieren müssen.

Das Kleeblatt-System des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verzeichnete 2023 insgesamt 1.923 Verlegungen bei einer durchschnittlichen Auslastung von 78 Prozent (Stand: April 2024). Dieses System hat sich bereits bei der Versorgung ukrainischer Kriegsverletzter bewährt und zeigt, wie bestehende Traumazentren durch regionale Kooperationen erweitert werden können.

Aktuelle Kapazitätsdaten des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) belegen: In Deutschland stehen 241 dual nutzbare Kliniken mit 18.300 Betten zur Verfügung (Stand: Juli 2025). EU-weit sind es 1.715 Einrichtungen mit rund 142.000 Betten. Diese Zahlen unterstreichen das Potenzial für länderübergreifende Kooperationen im Krisenfall.

Region Anzahl Einrichtungen Betten Quelle/Stand
Deutschland 241 18.300 ECDC, Juli 2025
EU-weit 1.715 142.000 ECDC, Juli 2025

Die verfügbaren Kapazitäten bilden die Basis für ein resilientes Versorgungssystem, das im Ernstfall schnell skalierbar sein muss. Die MedTech-Branche kann hier entscheidende Beiträge leisten – sowohl durch innovative Produkte als auch durch digitale Lösungen für eine effiziente Ressourcensteuerung.

Was ein duales Gesundheitssystem für Bürgerinnen und Bürger bedeutet

Ein dual nutzbares Gesundheitssystem verändert die Versorgungserfahrung für Patientinnen und Patienten grundlegend – sowohl im Alltag als auch im Ernstfall. Im Normalfall profitieren sie von stabilen Abläufen und gewohnten Behandlungsqualitäten. Kommt es jedoch zu einer Krise, greifen sofort vorbereitete Mechanismen, die Behandlungskapazitäten digital koordiniert und innerhalb kurzer Zeit erheblich erweitern. Besonders wichtig wird dabei die konsequente Digitalisierung von Versorgungspfaden, die im Krisenfall eine schnelle Verteilung und Priorisierung von Patientinnen und Patienten ermöglicht.

Die Einrichtung regionaler Hubs als Versorgungsknotenpunkte verkürzt Wege und erleichtert die Verteilung Schwerverletzter. Diese Knotenpunkte arbeiten mit modularer Infrastruktur, die sich bei Bedarf rasch erweitern lässt – etwa durch mobile Klinikeinheiten oder temporäre Behandlungskapazitäten. Gleichzeitig sorgen resiliente Lieferketten dafür, dass Engpässe bei medizinischem Material vermieden werden. Schutzsysteme für medizinisches Personal reduzieren Ausfallzeiten, während Telemedizin auch bei Kontaktbeschränkungen eine kontinuierliche Versorgung gewährleistet.

Ausblick: Nächste Schritte und offene Punkte

Die Weichen für ein krisenfestes Gesundheitssystem sind gestellt – jetzt kommt es auf die konsequente Umsetzung an. Entscheidend wird sein, verbindliche Standards für Datenformate und Schnittstellen zu etablieren, die eine nahtlose Kommunikation zwischen allen Beteiligten ermöglichen. Ohne solche technischen Grundlagen bleibt die geforderte Interoperabilität zwischen Kliniken, Hilfsorganisationen, Bundeswehr und MedTech-Unternehmen ein Lippenbekenntnis.

Regelmäßige Notfallübungen mit aktiver Einbindung der Medizintechnik-Branche müssen zur gelebten Praxis werden. Nur im gemeinsamen Training können Abläufe für den Ernstfall wirklich getestet und optimiert werden. Parallel dazu braucht es klare Regelungen für Materialreserven und Personalpools, die im Krisenfall schnell aktiviert werden können. Die Idee eines dual nutzbaren Systems, das sowohl im Alltag als auch in Extremsituationen funktioniert, erfordert eine durchdachte Governance-Struktur.

Kliniken, Industrie, Bundeswehr, Hilfsorganisationen und Behörden sollten jetzt gemeinsame Szenarien entwickeln und ihre Plattformen interoperabel gestalten. Dieser koordinierte Ansatz würde den Aufbau redundanter Systeme vermeiden und vorhandene Ressourcen effizient nutzen. Die MedTech-Branche kann hier mit ihrer Innovationskraft und Marktkenntnis entscheidende Beiträge leisten – wenn sie frühzeitig in Planungsprozesse einbezogen wird.

Die Herausforderung besteht nun darin, die erarbeiteten Konzepte zügig in die Tat umzusetzen und das dual nutzbare Versorgungssystem Realität werden zu lassen. Der Zeitpunkt zum Handeln ist gekommen.

Die vorliegenden Informationen und Zitate stammen aus einer Pressemitteilung des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed).

Weiterführende Quellen:

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