– Jeder vierte geprüfte Behandlungsfehler-Verdacht 2024 wurde bestätigt.
– Vermeidbare Behandlungsfehler verursachen jährlich Kosten von 15 Milliarden Euro.
– Ein sanktionsfreies Meldesystem für schwere Fehler soll Patientensicherheit verbessern.
Behandlungsfehler-Statistik 2024: Jeder vierte Verdacht bestätigt sich
Am 30. Oktober 2025 veröffentlichte der Medizinische Dienst seine Jahresstatistik zur Behandlungsfehlerbegutachtung – mit alarmierenden Zahlen. Die Auswertung zeigt: Im Jahr 2024 erstellten die Gutachter bundesweit 12.304 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern (Stand: Jahresstatistik 2024, Pressemitteilung 30. Oktober 2025)*. In jedem vierten Fall (3.301 Fälle) stellten die Experten einen Behandlungsfehler mit Schaden fest. Noch gravierender: In jedem fünften Fall (2.825 Fälle) war der Fehler ursächlich für den erlittenen Schaden.
Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm. „Wenn Behandlungsfehler passieren, werden nicht nur Patientinnen und Patienten geschädigt. Es entstehen auch enorme Kosten im Gesundheitssystem, weil Folgeuntersuchungen, erneute Operationen und Nachbehandlungen notwendig sind. Daher muss es gesundheitspolitisches Ziel sein, die Patientensicherheit zu verbessern“, betont Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund.
Besonders kritisch sind die sogenannten Never Events – schwerwiegende, vermeidbare Fehler wie Medikamentenverwechslungen oder im Körper vergessenes OP-Material. Deren Zahl sank zwar von 151 Fällen im Jahr 2023 auf 134 Fälle im Jahr 2024, bleibt aber bedenklich hoch. „Wenn solche Fehler geschehen, dann bestehen Risiken im Versorgungsprozess, denen systematisch nachgegangen werden muss, um sie in Zukunft zu vermeiden und so Schäden an Patientinnen und Patienten zu verhindern“, so Gronemeyer weiter.
Die Statistik bildet jedoch nur die Spitze des Eisbergs ab. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen werden nur 3 Prozent aller vermeidbaren Schadensfälle tatsächlich nachverfolgt und erfasst (Bezugsdatum: Pressemitteilung 30. Oktober 2025)*. „Die ökonomischen Schäden durch vermeidbare unerwünschte Ereignisse und Fehler werden in Deutschland deutlich unterschätzt. Mehr Investitionen in Patientensicherheit sollten als Investition in Qualität, Effizienz und Vertrauen betrachtet werden. Das Unterlassen von Fehlervermeidung kostet ein Vielfaches – in Geld, aber vor allem in vermeidbarem menschlichem Leid“, analysiert Prof. Dr. Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin.
Die Verteilung der Vorwürfe zeigt klare Schwerpunkte: Zwei Drittel (7.960 Fälle) betrafen die stationäre Versorgung, ein Drittel (4.312 Fälle) den ambulanten Bereich. Fachgebietsübergreifend dokumentierte die Statistik 12.304 Verdachtsfälle zu insgesamt 1.001 verschiedenen Diagnosen. „Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sagt nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus“, relativiert Dr. Christine Adolph, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bayern.
Die Schadensfolgen für Patienten sind schwerwiegend: Bei 63 Prozent der Betroffenen waren die Gesundheitsschäden vorübergehend, bei 32 Prozent verursachte der Fehler einen Dauerschaden. In 2,7 Prozent der Fälle (75 Fälle) führte der Behandlungsfehler zum Tod des Patienten (Stand: Jahresstatistik 2024, Pressemitteilung 30. Oktober 2025)*.
Internationale Standards und fehlende Datengrundlagen
Während Deutschland über die Einführung eines Meldesystems für schwerwiegende Behandlungsfehler diskutiert, hat die Weltgesundheitsorganisation bereits klare Vorgaben formuliert. Der Globale Aktionsplan für Patientensicherheit der WHO fordert, dass bis 2030 mindestens 90 Prozent der Staaten ein Meldesystem für Never Events installieren (Quelle: APS, Stand: November 2024)*. Diese internationalen Bemühungen zielen darauf ab, durch anonymisierte Berichtssysteme eine Lernkultur im Gesundheitswesen zu etablieren, anstatt individuelle Schuldzuweisungen zu verfolgen.
WHO-Ziel und Deutschlands Position
Die WHO-Initiative verdeutlicht, dass patientensichere Versorgung kein nationales, sondern ein globales Anliegen darstellt. In Ländern mit etablierten Meldesystemen haben sich verschiedene Erfolgsfaktoren gezeigt: Die Meldungen erfolgen pseudonymisiert, die Auswertung konzentriert sich auf systematische Schwachstellen in Behandlungsprozessen, und die gewonnenen Erkenntnisse fließen direkt in Präventionsmaßnahmen zurück. Diese international erprobten Ansätze könnten auch in Deutschland dazu beitragen, wiederkehrende Fehlermuster frühzeitig zu erkennen und zu beheben.
Datenlücken behindern wirksame Prävention
Die mangelnde Vergleichbarkeit mit internationalen Standards wird durch ein grundlegendes Problem verstärkt: In Deutschland existiert bislang keine vollständige und transparente Erfassung vermeidbarer Schadensereignisse* (Quelle: APS, Stand: November 2024)*. Diese Datenlücke erschwert Präventionsmaßnahmen und systematische Fehleranalysen erheblich. Ohne verlässliche Zahlen und einheitliche Kategorien bleiben viele Fragen unbeantwortet: Wie häufig treten bestimmte Fehlertypen auf? In welchen Versorgungsbereichen häufen sich kritische Vorfälle? Welche Präventionsmaßnahmen zeigen tatsächlich Wirkung?
Die aktuelle Diskussion um Never Events zeigt damit eine doppelte Herausforderung auf: Deutschland hinkt nicht nur internationalen Standards hinterher, sondern verfügt auch nicht über die datenlichen Grundlagen, um patientensichere Versorgung systematisch und evidenzbasiert zu verbessern.
Milliardenkosten und Datenwirrwarr: Die wirtschaftlichen Folgen unsicherer Patientenversorgung
Die finanziellen Auswirkungen mangelnder Patientensicherheit belasten das Gesundheitssystem in erheblichem Umfang. Laut einer OECD-Studie entstehen in Deutschland etwa 13 Prozent der Gesundheitsausgaben durch unsichere Versorgung, was 61,62 Milliarden Euro jährlich entspricht (Stand: Gesundheitsausgaben 2022, Veröffentlichung: November 2024)*. Diese Summe verdeutlicht die wirtschaftliche Dimension eines Problems, das weit über individuelle Behandlungspannen hinausreicht.
Wirtschaftliche Dimension im Fokus
Die OECD-Kennzahl bedeutet praktisch, dass mehr als jeder achte Euro im Gesundheitswesen für die Folgen unsicherer Versorgung aufgewendet werden muss. Diese enormen Ressourcen fehlen an anderer Stelle im System. Die wirtschaftlichen Schäden manifestieren sich insbesondere durch:
- Notwendige Nachbehandlungen und Folgeuntersuchungen
- Wiederaufnahmen in Krankenhäusern
- Langfristige Pflegekosten bei dauerhaften Gesundheitsschäden
Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund, betont: „Wenn Behandlungsfehler passieren, werden nicht nur Patientinnen und Patienten geschädigt. Es entstehen auch enorme Kosten im Gesundheitssystem, weil Folgeuntersuchungen, erneute Operationen und Nachbehandlungen notwendig sind.“
Uneinheitliche Daten erschweren die Analyse
Ein grundlegendes Problem bei der Bewertung der Patientensicherheit stellt die unterschiedliche Datengrundlage dar. Die Gutachtenzahlen und bestätigten Behandlungsfehler der Ärztekammern weichen von den Zahlen des Medizinischen Dienstes deutlich ab; es besteht eine teils erhebliche Dunkelziffer, die außerhalb der offiziellen Gutachtenstatistiken liegt (Stand: Statistikjahr 2024, veröffentlicht 2025)*.
Diese Diskrepanzen erschweren eine einheitliche Bewertung der tatsächlichen Sicherheitslage im deutschen Gesundheitswesen. Mögliche Ursachen für die abweichenden Zahlen liegen in unterschiedlichen Berichtswegen und variierenden Methoden der Fallzuordnung. Während der Medizinische Dienst bundesweit einheitliche Standards für seine Begutachtungen anwendet, folgen die Ärztekammern eigenen Verfahren bei der Erfassung und Bewertung von Behandlungsfehlern.
Die unterschiedlichen Datensätze verdeutlichen, wie schwierig eine verlässliche Gesamteinschätzung der Patientensicherheit in Deutschland ist. Ohne eine harmonisierte Datenbasis bleiben sowohl die wirtschaftlichen Folgen als auch die tatsächliche Häufigkeit von Behandlungsfehlern nur unvollständig erfassbar.
Never-Event-Register: Was die geplante Meldepflicht für Krankenhäuser bedeutet
Die politischen Weichen für mehr Patientensicherheit sind gestellt: Im Rahmen der Krankenhausreform wurde die Einführung eines deutschlandweiten Never-Event-Registers beschlossen. Krankenhäuser werden damit zur Meldung gravierender Behandlungsfehler verpflichtet. Die Aufbaufrist beträgt drei Jahre ab Verabschiedung der Reform – Stand: Juli 2025.* Dies entspricht auch dem internationalen Zeitrahmen, denn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Einführung entsprechender Meldesysteme bis 2030 als Ziel formuliert – Stand: November 2024.*
Politische Beschlüsse und Zeitplan
Der politische Beschluss gibt den Kliniken Zeit, die notwendigen Strukturen aufzubauen. Die dreijährige Implementierungsphase erscheint ambitioniert, denn die erfolgreiche Umsetzung hängt von mehreren Faktoren ab.
Erwartungen an Melde- und Präventionssysteme
Damit das Register seine präventive Wirkung entfalten kann, müssen verschiedene Voraussetzungen geschaffen werden. Entscheidend ist eine vertrauensbasierte Meldekultur, in der Fehler nicht bestraft, sondern als Lernchance begriffen werden. Gleichzeitig muss der Datenschutz gewährleistet sein – pseudonymisierte Meldungen sind hier der Standard. Nicht zuletzt benötigen die Krankenhäuser eine leistungsfähige technische Infrastruktur, die eine einfache und sichere Datenerfassung ermöglicht.
Kritisch für den Erfolg des Vorhabens sind jetzt klare gesetzliche Vorgaben zur Umsetzung, eine verlässliche Finanzierung der technischen Systeme sowie umfassende Schulungen des medizinischen Personals. Nur wenn diese Elemente zusammenwirken, kann das Register tatsächlich dazu beitragen, vermeidbare Behandlungsfehler zu reduzieren.
Was bedeutet diese Entwicklung konkret für Patientinnen und Patienten in deutschen Krankenhäusern?
Die hier dargestellten Informationen und Aussagen basieren auf einer Pressemitteilung des Medizinischen Dienstes Bund.
Weiterführende Quellen:
- „Laut OECD-Studie entstehen in Deutschland etwa 13 % der Gesundheitsausgaben durch unsichere Versorgung, das entspricht 61,62 Mrd. € jährlich (Stand: Gesundheitsausgaben 2022, Veröffentlichung: November 2024).“ – Quelle: https://www.aps-ev.de/2024/11/05/patientensicherheit-im-gesundheitswesen-strukturiert-und-nachhaltig-verankern/
- „Im Rahmen der Krankenhausreform wurde die Einführung eines deutschlandweiten Never-Event-Registers politisch beschlossen; Krankenhäuser werden zur Meldung gravierender Behandlungsfehler verpflichtet. Aufbaufrist: 3 Jahre ab Verabschiedung der Reform (Stand: Juli 2025).“ – Quelle: https://linda-heitmann.de/pressemitteilung-einfuehrung-des-never-event-registers/
- „Der Globale Aktionsplan für Patientensicherheit der WHO fordert, dass bis 2030 mindestens 90 % der Staaten ein Meldesystem für Never Events installieren. Deutschland hat bisher im internationalen Vergleich Rückstand: Die Umsetzung eines zentralen Melderegisters steht noch am Anfang (Stand: November 2024).“ – Quelle: https://www.aps-ev.de/2024/11/05/patientensicherheit-im-gesundheitswesen-strukturiert-und-nachhaltig-verankern/
- „In Deutschland fehlt bislang eine einheitliche, transparente Erfassung vermeidbarer Schadensereignisse; Präventionsmaßnahmen und Fehleranalysen werden durch diese Datenlücken teils erheblich erschwert (Stand: November 2024).“ – Quelle: https://www.aps-ev.de/2024/11/05/patientensicherheit-im-gesundheitswesen-strukturiert-und-nachhaltig-verankern/
- „Die Gutachtenzahlen und bestätigten Behandlungsfehler der Ärztekammern weichen von den Zahlen des Medizinischen Dienstes deutlich ab; es besteht eine teils erhebliche Dunkelziffer, die außerhalb der offiziellen Gutachtenstatistiken liegt (Stand: Statistikjahr 2024, veröffentlicht 2025).“ – Quelle: https://www.aerztekammern-schlichten.de/statistik
- „Die Verteilung der Gutachten und vorgeworfenen Fehler nach Fachgebieten 2024 zeigt, dass Chirurgie mit 35 % der Verdachtsfälle und Innere Medizin mit 21 % die meisten Behandlungsfehlervorwürfe erhalten.“ – Quelle: https://www.aerztekammern-schlichten.de/statistik
8 Antworten
„Die fehlenden Daten sind ein großes Problem! Wie sollen wir die Situation verbessern können ohne klare Informationen über die Behandlungsfehler? Ich denke, es muss mehr Druck auf die Verantwortlichen ausgeübt werden!“
„Never Events“ sind ein absolutes No-Go! Es ist traurig zu hören, dass solche schwerwiegenden Fehler immer noch passieren. Was könnte getan werden, um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern? Vielleicht bessere Kommunikation im Team?
„Ja, Kommunikation ist der Schlüssel! Aber ich denke auch an moderne Technologien zur Unterstützung der Ärzte – vielleicht elektronische Systeme zur Fehlervorbeugung? Hat jemand von euch positive Erfahrungen damit gemacht?
Die Kosten durch vermeidbare Behandlungsfehler sind erschreckend hoch. Ich frage mich, wie viel Geld wir in die Prävention stecken könnten, wenn diese Fehler reduziert würden. Was denkt ihr über präventive Schulungen für Ärzte?
Absolut! Prävention sollte immer im Vordergrund stehen. Wenn Ärzte besser geschult sind und effektive Systeme zur Verfügung haben, könnte dies viele Leben retten und auch Kosten sparen.
Ich finde die Idee eines sanktionsfreien Meldesystems für Behandlungsfehler wichtig. Es könnte helfen, aus Fehlern zu lernen. Aber wie können wir sicherstellen, dass es auch wirklich funktioniert und nicht nur ein weiteres bürokratisches System wird?
Das ist ein guter Punkt! Ich hoffe wirklich, dass das Meldesystem transparent bleibt und nicht nur für Statistiken genutzt wird. Wie sehen andere Länder das? Gibt es dort erfolgreiche Modelle?
Die Statistik zu Behandlungsfehlern ist wirklich besorgniserregend. Jeder vierte Verdacht, der sich bestätigt, macht mich nachdenklich über die Qualität unserer medizinischen Versorgung. Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um dies zu verbessern?